Das Glück des Tüchtigen

Jeder Schachspieler träumt davon einen Grossmeister zu schlagen. Die Gelegenheit dazu ergibt sich normalerweise in der ersten Runde eines Opens. Wie wir alle wissen passiert das kaum einmal und die ersten 20 Bretter enden alle mit 1:0 oder 0:1 für den Stärkeren falls der Stärkste gegen den Schwächsten, der Zweitstärkste mit dem Zweitschwächsten usw. gepaart werden. Ich stelle Ihnen hier eine Partie mit dem rekordverdächtigen Delta von 865 Elo vor.

Luis Alberto Gaspar Calvo (1801) – Kiril Georgiew (2666)
Zaragoza Open 2011
1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.Lb3 b5 8.Le3 Lb7 9.f3 Sbd7 10.Dd2 Sc5 11.O-O-O Le7 12.g4 Tc8 13.g5 Sfd7 14.h4 Sb6 15.h5 b4 16.Sce2 a5 17.g6 a4 18.gxf7+ Kxf7 19.Lxe6+ Sxe6 20.Sxe6 Kxe6 21.Dxb4 Dc7 22.c3 Sc4 23.Sd4+ Kf7 24.Lf4 d5 25.Lxc7 Lxb4 26.Sb5 Lc6 0-1

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.Lb3 b5 8.Le3

Bobby Fischer hatte in der berühmten Stammpartie dieser Variante gegen Michail Tal (Portorož 1959) noch das dubiose 8.f4 gespielt. 8.O-O ist deutlich beliebter und gilt als Hauptvariante. Danach ist der Bauer wegen 8.O-O b4 9.Sa4 Sxe4 10.Te1 tabu.

Er stellt die Rochade zurück und opfert erst noch seinen schönsten Bauern. Die Annahme des Opfers ist zweifelhaft, aber ich selber hätte den Bauern wohl genommen. Aber auch nur weil ich weiss, dass es keine direkte Widerlegung gibt, und natürlich wegen der Elozahl meines Gegners dem ich nicht zugetraut hätte, den Angriff korrekt zu führen.

Nach 8…b4 9.Sa4 Sxe4 hat Weiss drei vernünftige Züge, 10.f4, 10.O-O und 10.Sxe6. Genau genommen sind es nur zwei, denn nach 10.f4 Lb7 ist Weiss verpflichtet zu rochieren, 11.O-O.

Insofern ist 11.O-O genauer, es verpflichtet ja nicht zu f4 im nächsten Zug. Danach steckt Schwarz in Schwierigkeiten. Der stärkste Zug ist 11…Sbd7, was der Eventualdrohung Sb6 begegnet, welche z.B. nach 10…Le7? durchschlägt: 11.Sb6 Dxb6 12.Sxe6 Sc5 13.Lxc5 dxc5 14.Sxg7+ Kf8 15.Dd5 und gewinnt. Auch 10…Lb7 ist zweifelhaft wegen 11.Sxe6 fxe6 12.Lxe6 Sd7 13.Te1 mit starkem Angriff.

Die Alternative ist 10.Sxe6. Danach ist 10…fxe6 wegen 11.Sb6 Lb7 12.Sxa8 Lxa8 13.Lxe6 schlecht. Auch 10…Lxe6 11.Ld5 Sd7 12.Lxe4 macht keine Freude, ist aber durchaus spielbar und ein GM dürfte den kleinen Nachteil gegen einen Patzer schnell wettmachen.

8…Lb7

Wir haben eine der kritischen Stellungen im Fischer-Sizilianisch vor uns. Ich benenne die Variante 6.Lc4 im Najdorf nach Fischer, weil der geläufige Name Sosin einfach falsch ist, da Sosin nur Stellungen untersucht hat, in denen Schwarz Sc6 spielt.

Im Prinzip möchte Weiss nicht 9.f3 ziehen, sondern 9.O-O nebst 9.f4, aber das ist wegen Portischs Entdeckung 9.O-O Sbd7! oder 9.f4 Sbd7! und weiterem 10…Tc8 vorteilhaft für Schwarz. Objektiv sollte sich Weiss daher zum Stümperzug 9.f3 bequemen. Hier zeigt sich der Unterschied in der Spielauffassung deutlich. Ein starker Spieler möchte 9.f3 lieber nicht machen, aber ein Patzer hält das für selbstverständlich, stark und systematisch. Wie wir sehen werden macht Weiss ab jetzt sieben systematische Patentzüge hintereinander.

9.f3

Eine Erstrundenpartie mit einem rekordverdächtigen Elo-Delta zwischen den zwei Spielern. Vermutlich die Nr. 1 gegen den Letzten der Setzliste. 865 Punkte! Schwarz wird mit 99,99% Wahrscheinlichkeit gewinnen. Natürlich macht Weiss den (für einmal besten) Patzerzug und spult im Folgenden die Patentzüge herunter.

9…Sbd7 10.Dd2 Sc5 11.O-O-O Le7 12.g4 Tc8?!

Schwarz scheut sich, kurz zu rochieren, aber das ist kein guter Zug. Er sollte sich wenigstens die lange Rochade offenhalten. Im Allgemeinen steht Weiss besser, wenn Schwarz lang rochiert, aber gar nicht zu rochieren ist von vorneherein verdächtig. 12…O-O war durchaus spielbar, mit offenem Kampf. Weiss hat links viele Verteidiger und rechts wenige Angreifer.

Der angesagte Zug war selbstverständlich 12…b4. Nach 13.Sde2 a5 wird der Angriff unwiderstehlich. Daher 13.Sa4 Da5, und was jetzt? 14.Sxc5 dxc5 15.Sxe6 war notwendig, 15…fxe6 16.g5 Td8 17.Dg2 Sd7 18.Lxe6. Es ist praktisch auszuschliessen, dass Luis Gaspar dies gefunden hätte, und auch wenn er es gefunden hätte, hätte er nichts damit anfangen können.

Kiril Georgiew war zehn Jahre vorher, 2001, noch die Nummer 20 der Welt. Er spielt es etwas sehr nachlässig.

13.g5 Sfd7

Er scheut sich zurecht vor 13…Sh5, weil er tauschen muss, wenn ein Springer auf g3 auftaucht.

14.h4 Sb6?

Das Standard-Verfahren. Er möchte d6-d5 oder a6-a5-a4 durchsetzen, aber die Stellung gibt das schon nicht mehr her. Ein guter Zug war 14…Se5.

15.h5 b4 16.Sce2 a5

Endlich droht er was.

17.g6 a4?

Einzig der Trick 17…d5 18.exd5 a4 bot noch Aussichten auf Rettung. 19.gxf7+ Kxf7 20.Sxe6 Sxb3+ 21.axb3 Dxd5.

Luis Gaspar hätte nur noch den letzten Patentzug 18.h6 machen müssen, um haushoch auf Gewinn zu stehen.

Er spielte sofort 18.gxf7+. Was ist der Unterschied im Vergleich zu 18.h6 gxh6 19.gxf7+? Weshalb sollte 18.h6 gxh6 diese Variante verstärken? 19…Kxf7 20.Lxe6+ Sxe6 21.Sxe6 Kxe6 22.Txh6+, aha, deshalb. 22…Kf7, nicht 22…Kd7 23.Txd6+ Lxd6 24.Dxd6+ Ke8 25.De5+. Hier kommt 23.Sd4. Dass Weiss mit +8 auf Gewinn steht ist nicht offensichtlich. Wahrscheinlich hat es auch Georgiew übersehen und gedacht, dass der Zwischenzug nichts ändert.

18…hxg6 19.hxg7 Tg8 20.Th8 Kd7 21.Dxb4 axb3 22.Sxb3 gewinnt.

18…Lf6 19.hxg7 Lxg7 und erneut ist 20.gxf7+ Kxf7 21.Lxe6+ Sxe6 22.Sxe6 Kxe6 23.Sd4+ Kd7 24.Dxb4 tödlich.

18…axb3 19.hxg7 bxa2 20.gxh8=D+ Kd7 21.Dxd8+ Lxd8 22.Dxb4 a1=D+ 23.Kd2 Da6 24.b3 könnte man ausrechnen.

Das scheint alles sehr schwierig zu sein. Ist es nicht! Es gibt nichts zu berechnen sondern es genügt zu sehen, dass Weiss nach 18.h6 axb3 19.hxg7 zuerst kommt. 18.h6 ist der offensichtliche Zug und er funktioniert ebenso offensichtlich. Alles andere kommt von alleine.

18.gxf7+?? Kxf7 19.Lxe6+ Sxe6 20.Sxe6 Kxe6 21.Dxb4 Dc7

Es steht -1 und 22.Sc3 war der korrekte Zug.

22.c3 Sc4 23.Sd4+ Kf7 24.Lf4 d5 25.Lxc7 Lxb4 26.Sb5 Lc6 0-1