Brownes Widerlegung

Walter Browne – Anthony Miles 
Tilburg (7), 1978

1.c4 b6 2.d4 e6 3.e4 Lb7 4.Ld3 f5

Auch diese Stellung ist untrennbar mit dem Namen Tony Miles‘ verbunden. 4…f5 wurde 1976 an der Olympiade Haifa von Raymond Keene gegen Gennadi Sosonko in die Grossmeister-Praxis eingeführt. Bis zu dieser Partie glaubte man, f5 nicht nehmen zu können.

5.exf5 Lxg2 6.Dh5+ g6 7.fxg6 Lg7 8.gxh7+ Kf8

An dieser Stellung ist der Fortschritt der Computerprogramme in den letzten Jahren zu erkennen. Währenddem Rybka um 2010 herum Schwarz in dieser Stellung noch für einige weitere Züge klar im Vorteil sah, findet Stockfish schon nach ein paar Sekunden den stärksten Zug 9.Se2, und braucht nur noch ein paar weitere Sekunden, um das als vorteilhaft einzuschätzen.

9.Se2 Lxh1 10.Lg5 Sf6 11.Dh4

Die kritische Stellung. Die deftige Niederlage in dieser Partie hinderte Tony Miles nicht, die Variante 1999 am US Open in Reno gegen denselben Walter Browne erneut zu spielen. Diesmal zog er 11…De7 12.Sf4 Df7 13.Sg6+ Ke8 14.Se5 Df8 15,Sc3 d6 16.0-0-0 dxe5 17.dxe5. Das waren beidseits immer die besten Züge. 17…Sbd7 18.Lg6+ Ke7 19.exf6 Lxf6 20.Txd7+ Kxd7 21.Lxf6 wäre nun etwas zäher gewesen. 17…Ke7. Nun hätte 18.exf6+ Lxf6 19.Txh1 Lxg5+ 20.Dxg5+ die Sache sofort zugunsten von Weiss erledigt, denn 20…Df6 geht wegen 21.Sd5+ exd5 22.Te1+ Kf7 23.Dxd5+ Kf8 24.Dxa8 nicht. 18.Txh1 Sbd7 19.Te1 Sxe5 20.Txe5 Kd7. Browne war einer der grössten Zeitnötler aller Zeiten. Wahrscheinlich hatte er hier nur noch Sekunden auf der Uhr und lässt massiv nach, ohne je den Gewinn zu vergeben. 21.Dh3 Te8 22.Lg6 Te7 23.Kb1 Kc8 24.Txe6 Kb8 25.Lxf6 Lxf6 26.Sd5 Txe6 27.Dxe6 Lg7 28.f4 Dc5 29.Dg8+ Df8 30.Se7 c6 31.De6 Dxf4 32.Sxc6+ Kb7 33.De7+??. Das war ein Schach zuviel. 33.Sb4 Kb8 34.Le4 Df1+ 35.Kc2 De2+ 36.Kb3 Dd1+37.Ka3, die Schachs sind ausverkauft und Schwarz steht dem Mattangriff wehrlos gegenüber.  33…Dc7 34.Le4 Dxe7 35.Sxe7+ Kc7 36.Sg8 Kd7 37.Kc2 a5 38.a3 Ke8 39.Lg6+ Kf8 40.b4 axb4 41.axb4 Txg8 42.hxg8D+ Kxg8 ½–½

11…Sc6 12.Sf4?

Er vergibt den Gewinn. 12…Sxd4 13.Sg6+ Ke8 14.Dxd4 Txh7 und Schwarz bleibt im Spiel. Noch besser war 12…e5 13.Sg6+ Kf7 14.dxe5 Txh7 15.Dg3 Sh5 16.Dg4 Sf6 17.Lxf6 Lxf6 18.Sc3 Txh2.

Zweifellos hatte Nigel Short dieses Loch entdeckt, als er in einer Partie Akesson-Short, Dortmund 1980 die Variante aufwärmte. Nur zog Akesson 12.Sd2! e5, worauf Akesson das schwache 13.Sg3 fand und sogar noch verlor. 13.0-0-0 hätte gewonnen: 13…e4 14.Lxe4 Lxe4 15.Sxe4 Txh7 16.Df4 Kf7 17.S2c3, Weiss holt entweder den Sf6 ab oder gewinnt im Angriff nach 17…Th5 18.Sd5 Txg5 19.Sxg5+ Kg8 20.Df5 Df8 21.Te1.

13.0-0-0 kam denn auch in einer Partie Dan Cramling – Einar Gausel, Gausdal 1982 aufs Brett, wonach in Glenn Flear – Jim Plaskett, Torquay 1982 der nächste Rettungsversuch 12.Sd2 b5 gestartet wurde, welcher nach 13.cxb5 Sb4 14.Lg6 Lb7 15.Sf4 Ke7 16.Sh5 Df8 17.d5 auch nichts gefruchtet hätte, aber Flear liess Plaskett im 32. Zug ins Remis entschlüpfen.

Man müsste meinen, dass die Variante im Computer-Zeitalter endgültig beerdigt worden wäre. Aber nichts dergleichen, sie wurde noch 2012 auf IM-Niveau gespielt, mit dem unvermeidlichen 1-0 Resultat. Auch Super-GM können sich der Faszination dieser Variante offenbar nicht entziehen. Hier eine Blitzpartie Pawel Eljanow – Dimitri Andreikin, World Blitz Moskau 2010: 12.Sd2 d5 13.Sf4 Sxd4 14.0-0-0?? [14.Sg6+] 14…Sf3?? [14…Le4] 15.Sxf3 Lxf3 16.Sxe6+ Ke7 17.Sxd8 Lxd1 18.Sc6+ Kd6 19.Lxf6 1-0

12…Kf7? 13.Lg6+ Ke7 14.Sh5 Df8 15.Sd2 e5 16.0–0–0 Sxd4 17.Txh1 Se6 18.f4 d6 19.Se4 Sxg5 20.Dxg5 Lh6 21.Dh4 Lg7 22.fxe5 dxe5 23.Tf1 Kd7 24.Sexf6+ Lxf6 25.Sxf6+ Kc8 26.Le4 c6 27.Dh3+ Kb7 28.Lxc6+ 1–0

Ein Massaker.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass 5…Lxg2 doch zumindest zweifelhaft war, ruhten die Englischen Grossmeister nicht, bis sie einen neuen Versuch austüftelten, Chaos zu stiften, und die Premiere von 5…Lb4+ 6.Kf1 Sf6, dem Englischen Gambit, kam bereits 1981.

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