Jänisch

In meiner Fernschachzeit, um 2010 herum, galt das Jänisch-Gambit als widerlegt. Und zwar wegen einer Computervariante, die kurz vorher entdeckt worden war, aber in der Praxis schon 1966 auftauchte. Auch Bobby Fischer machte 1970 noch den alten Zug.

Fischer – Matulovic, Herceg Novi Blitz 1970
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.f4 Dxf4 10.d4 Dh4+ 11.g3 Dh3 12.Lg5 a6 13.La4 Ld7 14.Lxf6 gxf6 15.Dxe4+ Kf7 16.Se5+ fxe5 17.Tf1+ Ke7 18.Lxd7 Kxd7 19.Tf7+ Ke8 20.Txc7 Ld6 21.Txb7 Tc8 22.O-O-O Dxh2 23.dxe5 Le7 24.Txe7+ Kxe7 25.Db7+ Ke6 26.Dd7+ Kxe5 27.Dd5+ Kf6 28.Tf1+ Kg6 29.Df5+ Kh6 30.De6+ Kh5 31.Tf5+ Kg4 32.Tf4+ Kxg3 33.Dg4#

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6

Eine ungemein trickreiche Stellung.

9.f4

Das ist bis heute der Theoriezug, obwohl in den neuesten Partien 9.Sxa7+ bevorzugt wird.

9…Dxf4

Nach neuesten Erkenntnissen der einzige Zug. 9…Dh4+ 10.g3 Dh3 11.Se5+ c6 12.Lc4 schnitt in der Praxis gar nicht einmal so schlecht ab, obwohl der Computer hier +2 reklamiert. Das zeigt einmal mehr, dass in taktischen Stellungen „keineswegs die objektive Sachlage entscheidet“ wie Rudolf Spielmann in „Richtig opfern!“ treffend bemerkte. 12.Sxc6? hingegen würde wegen 12…a6 13.La4 Ld7 eine Figur verlieren.

10.d4 Dh4+

Das ist ungenau. Er sollte 10…Dd6 11.Se5+ c6 12.Lc4 Le6 mit guten Chancen wählen. 11.Sxa7+ c6 12.Sxc8 funktioniert nicht, wegen dem Zwischenschach 12…Db4+ 13.c3 Dxb5 14.Dxb5 cxb5 15.Sb6 Ta6 und der Springer ist gefangen.

10.Se5+ c6 11.d4 Dh4+ 12.g3 Dh3 13.Lc4 Le6 kommt in etwa auf das selbe heraus.

11.g3 Dh3 12.Lg5 a6 13.La4 Ld7

Er stellt den e-Bauern ein. 13…Ld6 14.Se5+ c6, und jetzt geht 15.Lxf6 gxf6 nicht, weil der Springer hängt. Aber nach 15.O-O-O O-O 16.Lb3+ Sd5 17.Dxe4 Lxe5 18.Dxe5 hätte er an seiner Stellung auch keine Freude gehabt.

14.Lxf6 gxf6 15.Dxe4+ Kf7 16.Se5+ fxe5 17.Tf1+?

17.Lb3+ Le6 18.Tf1+ Kg8 19.d5 Lf7 20.d6 Lxb3 21.axb3 De6 22.Dxb7 Tc8 23.dxc7 gewann.

17…Ke7 18.Lxd7?

18.O-O-O Lh6+ 19.Kb1 Taf8 20.Txf8 Txf8 21.Lxd7 Kxd7 22.Dxb7 war in etwa ausgeglichen.

18…Kxd7 19.Tf7+?

Nur noch 19.O-O-O war spielbar. Jetzt konnte J’adoubovic mit dem einfachen 19…Le7 20.O-O-O De6 eine Gewinnstellung bekommen.

19…Ke8? 20.Txc7 Ld6?

Nur 20…De6 21.O-O-O Tb8 oder 21.Txb7 Td8 hielt die Festung.

21.Txb7 Tc8 22.O-O-O Dxh2 23.dxe5 Le7 24.Txe7+

Sowas sah Fischer mit dem linken Auge.

24…Kxe7 25.Db7+ Ke6 26.Dd7+ Kxe5 27.Dd5+ Kf6 28.Tf1+ Kg6 29.Df5+ Kh6 30.De6+ Kh5 31.Tf5+ Kg4 32.Tf4+ Kxg3 33.Dg4#

Vetochin – Khavsky
Russland 1966
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Dxe4+ Le7 12.d4 Da5+ 13.Ld2 Dxa7 14.O-O Sf6 15.De5 Kf7 16.Tfe1 Ld6 17.De6+ Kg6 18.Te4 h5 19.g4 Tae8 20.gxh5+ Txh5 21.Tg4+ Kh7 0-1

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6

Bis zu dieser Partie wurde hier ausschliesslich 9.f4 gespielt.

9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Dxe4+?

Dass das ein Fehler ist, sollte sich erst 10 Jahre später herausstellen.

11…Le7?

Das widerlegt Dxe4+ natürlich nicht. Nach dem Bauernraub 12.Dxb7 De5+ 13.Kd1 O-O ist die weisse Stellung unglaublich solide, wie 14.Db5 Txf2 15.Te1 Dd4 16.h3 Txa7 17.Txe7 Sf8 zeigt.

12.d4?

Er stellt den Springer ein…

12…Da5+ 13.Ld2?

…aber er wäre mit 13.b4!! Dxb4+ 14.Ld2 Db6 15.O-O Txa7 davongekommen. Der Angriff auf den in der Mitte stecken gebliebenen König egalisiert den materiellen Nachteil. 13…Dxa7 14.Lg5 Sf6 15.Lxf6 gxf6 16.O-O ist sogar besser für Weiss.

Nach dem Textzug ist nichts mehr zu machen.

13….Dxa7 14.O-O Sf6 15.De5 Kf7 16.Tfe1 Ld6 17.De6+ Kg6 18.Te4 h5 19.g4 Tae8 20.gxh5+ Txh5 21.Tg4+ Kh7 0-1

David Thomas – Milorad Boskovic, USA 1975
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Dxe4+ Kd8 12.Dxb7 Txa7 13.Dxa7 Dxg2 14.Tf1 Lc5 15.Da6 Te8+ 16.De2 Txe2+ 17.Kxe2 De4+ 18.Kd1 Df3+ 19.Ke1 Sf6 20.d3 Sg4 21.Lg5+ Kd7 22.Lh4 Sxh2 23.Tg1 Df7 0-1

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Dxe4+ Kd8!

Das ist des Pudels Kern.

12.Dxb7 Txa7

Schockierend. Weiss konnte nur noch mit 13.Df3 ein wenig hoffen, hatte er doch immerhin vier Bauern für die Figur.

13.Dxa7 Dxg2 14.Tf1 Lc5 15.Da6 Te8+ 16.De2 Txe2+ 17.Kxe2 De4+ 18.Kd1 Df3+ 19.Ke1 Sf6 20.d3 Sg4 21.Lg5+ Kd7 22.Lh4 Sxh2 23.Tg1 Df7 0-1

Rob Faase – Gerard Welling, Dieren 1987
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Sb5 Dxg2 12.Df1 Dxf1+ 13.Txf1 O-O-O 14.f3 exf3 15.Txf3 c6 16.Sc3 Ld6 17.Tf2 Tde8+ 18.Se2 Se5 19.h3 Sd3+ 20.cxd3 Lg3 21.Kf1 Lxf2 22.Sc3 Thf8 23.Se4 Ld4+ 24.Kg2 Te6 0-1

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.Sb5

Nach langem Überlegen verzichtete er auf 11.Dxe4+.

11…Dxg2 12.Df1 Dxf1+ 13.Txf1 O-O-O 14.f3?

Unangebracht. Er musste erst seine Stellung sichern und irgend etwas in der Art von 14.Sc3 Te8 15.h3 Se5 16.Kd1 Sf3 17.d3 versuchen. Trotz dem Mehrbauern hat Weiss keinerlei Vorteil.

14…exf3 15.Txf3 c6 16.Sc3 Ld6 17.Tf2 Tde8+ 18.Se2?

Nach 18.Kd1 stand er zwar kritisch, aber noch nicht verloren.

18…Se5 19.h3 Sd3+!!

Das hatte er nicht kommen sehen. Das Spiel ist aus.

20.cxd3 Lg3 21.Kf1 Lxf2 22.Sc3 Thf8 23.Se4 Ld4+ 24.Kg2 Te6 0-1

Peter Swidler – Jean-Marc Degraeve, Mulhouse 2009
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.f4 Dc5 12.Sb5 Dxc2 13.d4 Dxe2+ 14.Kxe2 Ld6 15.d5 Sf6 16.Td1 h5 17.h4 Kd7 18.Le3 Sg4 19.a3 Sh6 20.Sxd6 cxd6 21.Td4 Thc8 22.Tb4 Tc7 23.Tc1 Tac8 24.Txc7+ Txc7 25.Kd2 Sf5 26.Lb6 e3+ 27.Kd3 e2 28.Lf2 Kc8 29.Te4 Se7 30.Txe2 Sxd5 31.g3 Kd7 32.Tc2 Txc2 33.Kxc2 b5 34.b3 Kc6 35.Kd3 g6 36.Ld4 Se7 37.Ke4 Kb7 38.Lf6 Sf5 39.Kd5 Kc7 40.Ke6 Sxg3 41.Kf7 1-0

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sxe5 dxe4 7.Sxc6 Dg5 8.De2 Sf6 9.Sxa7+ Ld7 10.Lxd7+ Sxd7 11.f4

Ob es eine gute Idee war, gegen den weltbesten Spanisch-Kenner Peter Swidler Jänisch zu spielen, sei dahingestellt. Swidler macht natürlich den allerneusten Computerzug, und beide sind exzellent vorbereitet.

11…Dxf4 12.d4 Df5 13.Sb5 wäre jetzt nicht mehr gut.

Der Textzug gilt seither als Jänischs Widerlegung und Weiss macht bis anhin über 90% der Punkte. Ich denke, Schwarz sollte mit 11…Df5 12.Sb5 O-O-O die Damen auf dem Brett behalten. Das kam erst in einer bedeutungslosen Partie vor.

11..Dc5 12.Sb5 Dxc2 13.d4 Dxe2+ 14.Kxe2 Ld6 15.d5 Sf6 16.Td1 h5 17.h4?!

Damit entwertet er seine Königsflügelbauern.

17…Kd7 18.Le3 Sg4 19.a3 Sh6 20.Sxd6 cxd6 21.Td4 Thc8 22.Tb4 Tc7?

Mit dem zweiten Bauernopfer 22…Tc2+ 23.Ld2 Tac8 24.Txb7+ Kd8 bekam Schwarz ausgezeichnetes Gegenspiel. Swidler verwertet jetzt mit maschineller Präzision.

23.Tc1 Tac8 24.Txc7+ Txc7 25.Kd2 Sf5 26.Lb6 e3+ 27.Kd3 e2 28.Lf2 Kc8 29.Te4 Se7 30.Txe2 Sxd5 31.g3 Kd7 32.Tc2 Txc2 33.Kxc2 b5 34.b3 Kc6 35.Kd3 g6 36.Ld4 Se7 37.Ke4 Kb7 38.Lf6 Sf5 39.Kd5 Kc7 40.Ke6 Sxg3 41.Kf7 1-0

Wegen dieser Partie gilt heutzutage 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 Sf6 als Hauptvariante, aber Weiss macht 60% der Punkte. Die Kompensation nach 6.Sxf6+ Dxf6 7.De2 Le7 8.Lxc6 dxc6 9.Sxe5 Lf5 10.O-O O-O-O 11.d3 The8 12.Ld2 scheint mir nicht überzeugend.

Hingegen schlägt Stockfish nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 Sf6 6.Sxf6+ Dxf6 7.De2 Le7 8.Lxc6 bxc6, und nach 9.Sxe5 die Neuerung 9…Lb7 vor. Nach 10.O-O O-O-O hat der Springer auf e5 kein sicheres Plätzchen. Diese Variante scheint mir gut spielbar, auch wenn Weiss lang rochiert.