Supergrossmeister

Die Schachwelt hat bisher drei Chefs gesehen, nämlich Bobby Fischer, Garri Kasparow und Magnus Carlsen, Spieler, die ihren Konkurrenten überlegen waren, oder noch sind. Als Supergrossmeister kann man heute Spieler über ca. 2700 Elo bezeichnen.  Die ersten Super-GM waren für mich Karpow und Kortschnoi, Anfangs der 90-er Jahre stritten sich mit Timman, Iwantschuk und Anand noch drei Spieler um die Nummer 2 hinter Kasparow. Heute gibt es gut zwei Dutzend Spieler dieser Stärkeklasse. Es ist eine offene Frage, ob ein Botwinnik diese Spielstärke erreicht hätte, wenn er zum Beispiel Computer zur Verfügung gehabt hätte, und Vollprofi gewesen wäre. Meiner Ansicht nach schon. Immerhin war er mit der Begründer der konkreten Denkweise im Schach.

Wladimir Kramnik – Alexander Beljawski
Investbank Belgrad 1995

Diese bemerkenswerte Partie haben wir einem Computerabsturz zu verdanken. Weil sein Laptop kaputt war, konnte er sich nicht auf Beljawskis Damengambit vorbereiten, und improvisierte. Ich verwende Kramniks Kommentare aus „Kramnik. My Life and Games“, Everyman, London 2000.

1.Sf3 d5 2.g3 c6 3.Lg2 Lg4 4.0–0 Sd7 5.d4 e6 6.Sbd2 f5

Er verhindert 7.e4 radikal, und handelt sich dafür ein paar schwache Punkte, e6, e5 und g5 ein. Man könnte auch sagen, dass der Zug unflexibel und verpflichtend, oder passiv  ist. Aber wir wollen ja keine positionellen, sondern konkrete Überlegungen anstellen.

7.c4 Ld6

Kramnik sagt, dass er hier beschloss, aktiv zu spielen, um zu versuchen, den Entwicklungsrückstand seines Gegners am Königsflügel auszunützen.

8.Db3 Tb8

Das erste Problem. 8…Db6 ging wegen 9.De3 nicht.

9.Te1

Nimzowitsch hätte seine Freude an diesem „mysteriösen Turmzug“ gehabt. Er deutet an, dass er auf das natürliche 9…Sf6 10.Sg5 De7 11.cxd5 exd5 12.f3 nebst 13.e4 spielen will.

Auf das ebenso natürliche 9…De7 10.cxd5 exd5 11.h3 müsste er mit 11…Lxf3 seinen Läufer hergeben, weil nach 11…Lh5 12.Sh4 der Bauer f5 hängt und 13.e4 droht. In der Nachbetrachtung wäre das noch das einzig spielbare gewesen.

Sein nächster Zug sieht etwas ungesund, aber vernünftig aus…

9…Sh6 10.cxd5

Schon wieder ein Problem. Nach 10…exd5 11.e4 fxe4 12.Sxe4 verliert er forciert. 12…dxe4 13.Txe4+ Kf8 14.Lxh6

10…cxd5 11.h3

Oha. Auf 11…Lxf3 kommt 12.exf3, und er muss die Rochade aufgeben, um e6 zu decken: 12…De7 13.f4, droht 14.Lxd5, 13…Sf6 14.Db5+ Kf8 15.Sf3. Das wäre zwar unschön, aber vielleicht auszuhalten gewesen.

Es gab eine Vorgängerpartie, Hug – Speelman, Altensteig 1994, welche Kramnik nicht kannte, und wo Weiss seiner Ansicht nach „unlogischerweise mit 11.Se5 die e-Linie blockierte“. Hug hielt dies sicher für ein cleveres Bauernopfer, aber Kramnik zog es nicht einmal in Betracht.

11…Lh5? 12.e4 fxe4

Kramnik überlegte zuerst das „normale“ 13.Sxe4 dxe4 14.Sg5 0-0 15.Dxe6+ Sf7 16.Sxf7 Lxf7 17.Dxd6, dann fand er das „speditivere“ 13.Sg5, was sein Gegner übersehen hatte. Der Rest ist forciert.

13.Sg5 Lf7

Wegen 13…Dxg5 14.Sxe4 De7 15.Lg5.

15…Sf6, und er kann sich aussuchen, ob er mit 16.Sxd6+ den Tb8, oder mit 16.Sxf6+ den Sh6 abholen will.

15…Df8 16.Dxd5 exd5 17.Sxd6# wird matt.

14.Sdxe4 dxe4 15.Sxe6 Lxe6 16.Dxe6+ 

Dieselbe Stellung entstand  in einer Partie Neubauer (2414) – Schabalow (2569), Bridgetown 2009. Sie ging weiter mit 16…Le7 17.Lxh6 gxh6 18.Txe4 Tf8. Die Computerbewertung ist +3. Weiss war mit seinem Latein am Ende, spielte das ungenaue 19.Lf1 und stand 6 Züge später bereits auf Verlust. Grund genug, sie methodisch zu betrachten.

Schwarz droht, mit Sf6 und Tf7 die Verteidigung zu organisieren.

Richtig ist 19.Te3, was gleichzeitig 19…Sf6 bedient und übertrumpft, denn dann gewinnt er nach 20.d5 die Figur mit Gewinnstellung zurück. Auch für 19…Tf7 hält er etwas in petto: 20.Ld5 Tg7 21.Dxh6 Kf8 22.Tae1 Lf6 23.Tf3. Es droht 25.Te6. Schwarz ist wehrlos.

16…De7 17.Txe4 Kd8 18.Dd5 1–0

Anlässlich eines Mannschaftswettkampfs vor der WM 2013 diskutierte ich mit meinen Kollegen die Chancen Anands gegen Carlsen. Wir waren uns einig, dass Anand ziemlich sicher verlieren würde, weil ihm vor allem seine Hauptwaffe, die Eröffnungsvorbereitung, fehlen würde, da Carlsen in der Eröffnung alles mögliche und unmögliche spielt.

Ich hielt Kramnik für den einzigen Spieler, der gegen Magnus überhaupt eine Chance haben würde. Meine Kollegen widersprachen energisch. Sie bezeichneten Kramnik z. B. als „langweilig“ und „Remisschieber“, im Hinblick auf die „Berliner Mauer“, mit der er Kasparow neutralisiert hatte. Es stellte sich heraus, dass sie von Kramnik gerade etwa die zwei Meraner kannten, die er 2008 mit Weiss gegen Anand verloren hatte.

Ich habe mir viele Kramnik-Partien angesehen, und finde, dass er einer der Kreativsten überhaupt ist, und in seiner Experimentierfreude manchmal vielleicht etwas zu weit geht.

Boris Gelfand – Wladimir Kramnik
Zurich Chess Challenge 27.02.2013

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.g3 Le7 5.Lg2 0–0 6.0–0 dxc4 7.Dc2 a6 8.Dxc4 b5 9.Dc2 Lb7 10.Ld2 Le4 11.Dc1 Dc8 12.b4

Das ist eine Neuerung. Üblich ist 12.Lg5. Schon Kramniks 11…Dc8 wird selten gespielt. In ausgeglichenen Stellungen ist es eben so, dass beide Parteien eine Menge Ideen zur Wahl haben. Der Zug sieht dubios und vor allem unflexibel aus, aber Gelfand hat ihn sicher ausgiebig analysiert, während Kramnik nun am Brett damit zurecht kommen muss.

Dem Stil Kramniks hätte das Qualitätsopfer 12…Sc6 13.Sc3 Lxf3 14.Lxf3 Sxd4 15.Lxa8 Dxa8 15.Le3 e5 entsprochen.

Ein direkter Versuch ist das Bauernopfer 12…a5 13.bxa5 b4 14.Lf4 Txa5

Ich denke, dass Gelfand hier 15.Sbd2 gezogen hätte, denn die Annahme des Bauernopfers bringt nichts:

15.Dxc7 Dxc7 16.Lxc7 Ta7

Er droht neben 17…Txc7 auch 17…b3

17.Lxb8 verstösst zwar gegen das Tauschverbot, 17…Txb8 18.Sbd2 Ld5 19.Se5 Tba8, aber hier sieht es so aus, als ob sich Weiss mit 17.Tfc1 in ein Remis-Endspiel retten könnte.

17.Lb6 Ta6 18.Lc5 Lxc5 19.dxc5 b3 20.Sc3 b2 21.Tad1 Ta3 22.Sb1 Txa2 23.Se5. Das ist wahrscheinlich remis, aber für Schwarz bestimmt einfacher zu spielen.

 Möglich, dass er nächstes Mal eine dieser zwei Optionen wählen würde. Aber nach einer Neuerung Gelfands ist sicher Vorsicht am Platz, deshalb spielt er erst mal „konventionell“ weiter.

12…Sbd7 13.Sc3 Lc6 14.a3 Db7 15.Dc2 h6

Ein ständiges Abschätzen und Abwägen. Einer der Türme gehört nach c1, aber welcher? Ein Murphy’sches Gesetz im Schach lautet: „Egal, welchen Turmzug du machst, es ist immer der falsche.“ Gelfand wählt aber mit dem auf a1 den richtigen, weil er sieht, dass sein Kollege auf e1 zum Einsatz kommen wird. Kramnik im Gegenzug wählt wohl den falschen, denn dessen Kollege hätte sich die Option a6-a5 offen halten sollen.

16.Tac1 Tac8

16…Tfc8 ist flexibler, da er sich die Option a6-a5 erhält. Vielleicht hat er aber 17.e4 gesehen, und deswegen auf 16…Tfc8 verzichtet. 17…Sxe4 18.Sxe4 Lxe4 19.Sg5 Lxc2 20.Lxb7 Ld3 21.Lxa8 Txa8 22.Txc7 Lxf1 23.Txd7 Lxg5 24.Lxg5 Lh3  25.Td8+ Txd8 26.Lxd8 mit totem Remis, lautet die Hauptvariante.

17.Tfe1 Sb6 18.e4 Sc4

Die erste ernsthafte Drohung, 19…Sxa3, taucht auf. Es wird konkret. Das Konterprimat sagt uns, dass (mit dem passiven 19.Ta1) nur verteidigt wird, wenn keine Gegendrohung da ist. Es gibt deren zwei.

Die eine ist 19.Se5 Sxe5. 19…Sxa3 20.Dd1 Sc4 21.Sxc4 bxc4 22.d5 ist gut für Weiss. 20.Sxe5 Sxe5 21.dxe5 Sd7 22.Sd5 exd5 23.Dxc6 Dxc6 24.Txc6 Sxe5 25.Txa6 d4. Gelfand spielt die gefährlichere.

19.d5 Ld7?! 20.dxe6 fxe6

19…Le8 war definitiv genauer. Denn nun war 21.Lxh6 möglich. Kasparow kommentierte diese Partie live, sah es sofort, und breitete genüsslich Gewinnvarianten aus.

21…gxh6 22.e5. Zieht der Sf6 nach e8, h7 oder h5, gewinnt 23.Sg5 wegen der Mattdrohung auf h7 die Dame. Auf 22…Sg4 hat W das Damenschach 23.Dg6+. Das wäre nach 19…Le8 nicht möglich gewesen. Die Widerlegung lautet in diesem Fall 19…Le8 20.dxe6 fxe6 21.Lxh6 gxh6 22.e5 Sg4 23.Sg5 Dxg2+ 24.Kxg2 Txf2+.

21…e5 22.Lg5 und 22…Sxa3 geht nicht wegen 23.Db3+Sc4 24.Sxe5

21…Sg4 22.Lf4 bleibt aber kompliziert. Kasparow analysierte das eine ganze Weile, ohne zu einem klaren Resultat zu kommen.

22…Sxa3 23.Db3 Sc4 24.Lh3 Sxf2 25.Kxf2 c5 mit wildesten Verwicklungen.

22…e5 23.Ld2 Sxa3 24.Da2+ Sc4 25.h3 Sxf2 26.Sd5 Txf3 ist ebenso wild.

22…c5 23.e5 Lc6 24.Se4

24…Sxa3? 25.Dd3, droht Seg5, nach  25…c4 26.De2 Sxf2 27.Sxf2 Lxb4 gewinnt Weiss laut Computer mit 28.Sg5.

24…Sge3 25.fxe3 Lxe4 26.Sg5 Lxc2 27.Lxb7 Sxa3. Schwarz ist auch objektiv keineswegs verloren. Kann sein, dass Gelfand solches zu gefährlich war. Dass er 21.Lxh6 übersehen hat, halte ich schlicht für unmöglich.

Tatsache ist, dass auch Computer die Stellung nach 21.Lxh6 nicht korrekt berechnen können. Ein Mensch muss hier sowieso aufs Geratewohl spielen, und sich auf seine Intuition verlassen.

Interessant war übrigens auch 21.Sh4 mit der Drohung Sg6, aber nach dem Konter 21…Sg4 22.Sg6 Txf2 23.Sxe7+ Kh8  scheint Weiss nicht mehr als ewig Schach zu haben.

21.e5 Sg4

Der Abzug 22.Sg5 scheitert am Konter 22…Dxg2+ 23.Kxg2 Txf2+ 24.Kg1 Lxg5 25.Dd1 Sxd2 26.Dxg4, wonach Schwarz momentan nur zwei Läufer für die Dame hat, aber noch eine Qualität ergattern wird.

22.Lf4 würde die f-Linie verstopfen, und damit diesen Abzug drohen. 22…Lc6 23.Se4 Ld5, mit unklarer Stellung.

Gelfand versucht etwas anderes.

22.Te4 Sxf2

Das war erzwungen, aber zu Gelfands Pech auch gut.

23.Kxf2 Sxd2?!

Kasparow war fassungslos, schüttelte den Kopf und verwarf die Hände. „Wie kann man einen solchen Zug machen?“ Auch Kramnik scheint das Tauschverbot nicht zu kennen.

Tatsächlich, korrekt war 23…Lc6 24.Tf4 Tcd8 25.Le3 Sxe3 26.Kxe3 Db6+ 24.Ke2 Lg5 25.Se4 Lxf4 26.gxf4 Ld5 27.Sfd2. Alles forciert und schwierig. Schwarz ist die ganze Zeit über am Drücker und Weiss macht einzige Züge.

23…c5 ist langsam. Nebst 24.Tg4 und 24.Txc4 bxc4 25.Dg6 ist auch 24.Lxh6 möglich.

Auch 23…Sxa3 ging. 24.Dd3 Lc6 25.Tf4 Sc4.

24.Dxd2 c5 25.Kg1?!

Wieso Gelfand hier nicht 25.Tf4 zog, und einen solch passiven Zug wie 25.Kg1 machte, ist mir schleierhaft. Er möchte den b-Bauern behalten, aber überlässt Schwarz die Initiative. 25…Txf4 26.gxf4 cxb4 17.axb4 Lxb4 18.Kg3, Schwarz hat gute Kompensation für die Figur, mehr aber nicht.

25…cxb4 26.axb4 Lc6 27.Tce1 a5 28.Sd4 Da7??

Ein Riesenbock. Er vergisst, den Turm zu schlagen. 28…Lxe4 29.Sxe4 Lxb4 30.Dxb4 axb4 31.Sf6+ gxf6 32.Lxb7 Tc7 hätte das Remis klar gestellt.

W konnte mit 29.T4e3 sang- und klanglos gewinnen.

Die Herren Übermeister waren nach all den Aufregungen wohl etwas müde, denn Gelfand gibt das Kompliment zurück. Ein Doppelbock. Kramnik spielt in der folgenden Zeitnotphase sehr präzise, aber für einen Gewinn scheint es nirgends zu reichen. Erst mit 38…Lf8 kündigt er das Ende seiner Bemühungen an, und nach 39…Ld3 ist endgültig die Luft draussen.

29.Scxb5?? Lxb5 30.Kh1 Lc4 31.bxa5 Tfd8 32.Db2 Dxa5 33.Sf3 Ld5 34.T4e2 Lb4 35.Tg1 Lc3 36.Db1 Lc4 37.Te3 Lb4 38.Te4 Lf8 39.Tf4 Ld3 40.Db3 Dd5 41.Dxd5 Txd5 42.Sd4 Txe5 43.Sxe6 Le7 44.Td4 Lf5 45.Sf4 Lc5 46.Td5 ½–½

Eine Klassepartie. Partien dieses Kalibers waren vor 50 Jahren unter Spitzenspielern eher selten, heute sind sie schon fast „Tagesgeschäft“.

Peter Swidler – Boris Gelfand
FIDE Candidates London, 20.03.2013

„Es ist absolut erstaunlich, wie viel diese Jungs sehen“ kommentierte Nigel Short anlässlich der folgenden Partie. Short selber ist ja nicht gerade untalentiert.

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5

Was spielt man gegen das „wandelnde Lexikon“ Gelfand?

5.Ld2

Ein futuristischer Zug. Davon wird sogar Gelfand überrascht gewesen sein. Das wurde schon öfters gespielt, aber auf diesem Niveau nicht.

Die natürliche Reaktion ist 5…Lg7 6.e4, und nun:

6…Sxc3 7.Lxc3 0-0 8.Sf3 Lg4 9.Le2. Angesichts dieser Variante kann ich nicht verstehen, weshalb alle Welt 5.e4 spielt. Das ist auf jeden Fall mindestens gleichwertig.

6…Sb6 7.Le3 0-0 8.Le2 Sc6 9.d5 Se5 10.Ld4. Danach scheint Schwarz mit 10…c5 11.Lxc5 Sec4 ausgleichen zu können.

Weiss hat anstelle von 8.Le2 diverse andere Versuche, 8.h3 oder 8.h4 oder sogar 8.f4.

Swidler hat 5.Ld2 bestimmt nicht ins Blaue hinaus gezogen. Gelfand schränkt sofort seine Optionen ein, indem er den d4-Bauern angreift.

5…Sb6 6.e3 Lg7 7.f4 0–0 8.Sf3

Swidler hat ihm einen „hypermodernen“ Aufbau aufgetischt, der an die Spielweise des Gyula Breyer erinnert.

Laut Tarraschs Ansichten hat Schwarz ein Tempo Vorsprung, und vor allem bereits rochiert. Bei normaler Entwicklung wird sich dieser Vorsprung ausgleichen, Weiss wird das Zentrum, die halboffene c-Linie beherrschen und auf c5 einen Springervorposten einrichten.

Die Variante 8…Sc6 9.Le2 Lf5 10.0-0 Dd7 11.Sh4 Le6 12.Se4 demonstriert diesen Spielverlauf. Der Lc8 kann sich kaum vernünftig entwickeln, und wenn, riskiert er immer, durch die Springer belästigt zu werden.

Weiss hat einen offensichtlichen Flexibilitätsvorsprung. Schwarz ist verpflichtet, dagegen anzukämpen. Sein einziger Hebel besteht in

8…c5 9.dxc5 S6d7.

10.b4 e5 11.Lc4 a5 12.a3 exf4 13.exf4 Sc6 14. Weiss gibt am am besten den Bauern mit 15.0-0 zurück.

10.Se4 Lxb2 11.Tb1 Lg7 12.Lc4 Sf6 13.Sxf6 Lxf6 14.0-0 Sc6. Schwarz steht akzeptabel, und dürfte sich verteidigen können.

10.Sa4 e5 11.Lc4

11…De7 12.0-0 Sc6 13.b4. Weiss ist fest entschlossen, den Bauern zu behalten, auch auf Kosten einer Qualität. 13…e4 14.Se1 Lxa1 15.Dxa1. Er hat schon beinahe entscheidenden Vorteil.

11…exf4 12.0-0 fxe3 13.Lxe3 mit weissem Vorteil.

11…Sc6 12.0-0 exf4 13.exf4 Sxc5 14.Sxc5 Ld4+ 15.Kh1 Lxc5. W steht besser.

8…c5 gleicht nicht aus. Es vorbereiten?

8…S8d7, aber da folgt die nächste Überraschung. 9.e4

9…c5 10.d5 ist schwach.

9…Sf6 10.Le2 c6 11.0-0 Le6 12.Le3 Sg4 13.Lc1, der weisse Vorteil ist offensichtlich.

Der Computer rät tatsächlich zu 9…Sb8, irgend etwas muss schief gelaufen sein.

Der weisse Aufbau ist konterfest. Es ist schwer, dem Schwarzen etwas zu raten. Er hätte vermutlich im 5. Zug auf c3 tauschen müssen.
Um etwas Luft zu bekommen, verstösst er gegen das Tauschverbot.

8…Lg4 9.h3 Lxf3 10.Dxf3 c6

10…S8d7 war besser. Weiss sollte nicht 11.Dxb7 c5 spielen, sondern 11.h4, wonach Schwarz sicher mehr Gegenspiel hat, als in der Partie. 11…c5 12.h5 cxd4 13.exd4 Sf6.

Nachtrag: 10…S8d7 spielte Swidler selber in einer Partie gegen Kasimdschanow, Tiflis 2015. Kasimdschanow verzichtete auf 11.h4 wegen der angegebenen Variante, versuchte 11.0-0-0 e6 12.Kb1 c5 13.dxc5 und gewann eine aufregende Partie in 29 Zügen.

11.h4 S8d7 12.h5 e6 13.hxg6 hxg6 

Weiss steht auf Gewinn. Dies nach 12 Zügen, und dem „Stümperzug“ 5.Ld2. Er hat viele Gewinnzüge.

14.Dh3 f5 15.g4. Es ist nicht zu sehen, wie Schwarz davon kommen will. 15…Kf7 16.gxf5 gxf5 17.Dh5+ Ke7. Er kann sich vielleicht verteidigen.

14.g4

14…Te8 15.0-0-0 c5 16.f5, z. B.  16…Tc8 17.fxg6 fxg6 18.Ld3 und gewinnt.

14…c5. Selbstverständlich, Konter um jeden Preis. 15.Se4 cxd4 16.Dh3 Te8 17.Dh7+ Kf8 18.Lb4+ Te7 19.Dh8+ Lxh8 20.Txh8 Kg7 21.Txd8 Txd8 22.Lxe7

14.0-0-0 c5 15.Dh3 f5 20.g4.

Es gibt eigentlich gar nichts zu berechnen. Die Gewinnzüge ergeben sich ganz von selbst. Sie müssen von Zug zu Zug gespielt werden. Klar ist, dass Schwarz mit c5 zu kontern versuchen müsste, aber dazu ist er schon viel zu spät dran.

Swidler probiert etwas anderes.

14.e4 f5 15.g4 Sf6 16.gxf5 exf5

Gelfand hielt nach der Partie 16…gxf5 für zäher.

17.e5 Sg4 18.d5 cxd5 19.0–0–0 d4 20.Sb5 Dd5 21.Dh3 Tfc8+ 22.Kb1 Tc6

Bis hierhin haben die Meister mit geradezu übermenschlicher Präzision gespielt. Jetzt aber wird es schwierig. Nachträglich kann man feststellen, dass 14.Dh4 oder 14.g4 einfacher gewonnen hätten.

An der Pressekonferenz wurde diese Stellung ausgiebig diskutiert. Swidler sah das Opfer 23.Sd6 Txd6 24.exd6 Sf2 25.Dh7+ Kf8 26.Dxg6, aber er schätzte es als remis ein.

26…Sxd1 27.Th5 und gewinnt.

26…Sxh1 27.Lg2 Df7 28.Dxf7+ Kxf7 29.Lxh1. Hier irrten sich die zwei. 27.Te1 gewinnt. 27…Df7 28.Dg1. Was soll man dazu sagen? Diese Zugfolge muss erst mal einer sehen und dazu noch verstehen.

26…Df7 ist also angemessen. 27.Dxf7+ Kxf7 28.Lg2 Sxd1 29.Txd1. Tatsächlich scheint es nicht für einen Gewinn zu reichen.

23.Dh4 a6 24.Sd6 Txd6 25.exd6 Dxd6 26.Le2 wurde ebenfalls diskutiert. Swidler meinte, dass er dies hätte spielen sollen. Er hat recht.

Die weisse Stellung ist nahe am Gewinn, aber so richtig klar ist es nirgends. Da ist es nicht verwunderlich dass Hirngespinste auftauchen. Seinen nächsten Zug kommentierte Swidler lakonisch mit „es war eine normale Idee, die schief ging.“

23.e6? Dxe6 24.Lg2 Sf2 25.Dh7+ Kf7 26.Tde1 Df6 27.Lxc6 bxc6 28.Sc7 Th8

Und wieder eine  lange Serie von perfekten Zügen. Korrekt war nun 29.Te6 Txh7  30.Txf6+ Lxf6 31.Txh7+ Kg8 32.Th2. Die Spieler waren sich einig, dass das remis enden würde. Swidlers Zug ist ein Fehler.

29.Dxh8? Lxh8 30.Se8 Sxh1?

Schon wieder ein Doppelbock. Mit 30…Dd8 konnte er auf Gewinn spielen. 31.Txh8 Sd5 32.Th7+ Kg8 33.Tg7+ Kf8 34.Tb7 Dh4. Gelfand hatte es gesehen und meinte trocken, dass er nach all den Aufregungen keine Lust mehr gehabt hätte.

31.Sxf6 Sg3 ½–½

Nach der Analyse solcher Partien ist es für mich kein Wunder mehr, dass Supergrossmeister gewöhnlichen Grossmeistern hoch überlegen sind.

 

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