Spieler mit 2000 Elo sind mehrheitlich Patentspieler. Sie weichen Hauptvarianten aus und spielen Patenteröffnungen. Sie folgen eisern der Schablone, auch wenn das gerade schlecht ist. Sobald sie sich nicht mehr auskennen, machen sie ungefähre positionelle Züge. In Partien gegen Zweitausender stehe ich normalerweise nach 15 Zügen auf Gewinn. Was dann passiert, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe genug einschlägige Erfahrungen gemacht.
Karsten Kühn (2012) – Reza Azimi (2008)
Landesliga Süd, Bayern 9.3.2003
1.e4 c5 2.Sc3 Sc6 3.f4 d6 4.Lc4 g6 5.Sf3 Lg7 6.0–0 e6 7.f5 exf5 8.d3 Sge7 9.De1 0–0 10.Dh4
Der Grand-Prix Angriff ist eines dieser Patentsysteme. Über solche „Systeme“ gibt es viel Literatur, im Sinne von „gewinnen mit Sowieso“. Bei Amazon habe ich mehr als ein Dutzend Bücher über den GP-Angriff gefunden, währenddem es über Spanisch nur rund die Hälfte gibt. Weiss war sicher glücklich, endlich ein Opfer gefunden zu haben und die Hauptvariante spielen zu dürfen.
Diese Stellung ist unglaublich beliebt. In meiner Datenbank gibt es 181 Partien damit. Zudem dürfte die Dunkelziffer erheblich sein. Ich habe sie auch schon in einem Mannschaftswettkampf der Nationalliga B gesehen. Ganze Vereine scheinen sich auf diese Eröffnung zu spezialisieren, z. B. der Schachklub Bern. Die Bilanz dieser Stellung ist für Schwarz desaströs, 78% der Partien wurden von Weiss gewonnen.
Schwarz hat schablonenhafte Entwicklungszüge gemacht, nun steht er vor dem Problem, wie er dem Patentangriff mittels Lh6 nebst Sg5 begegnen soll. Der einzig spielbare Zug ist 10…h5, das haben aber nur 42 der 181 Schwarzspieler gefunden. Selbst dann hat Schwarz nach 11.Lg5 Dc7 12.Tae1 nichts zu lachen.
Es verstünde sich eigentlich von selbst, dass ich mich auskennen sollte, wenn ich so etwas spiele. Viel besser wäre es hingegen, dieser Stellung auszuweichen.
10…a6
Ich gehe davon aus, dass er mit diesem Zug 11.Lh6 b5 12.Lb3 c4 beabsichtigte. Tatsächlich käme er nach 13.dxc4 bxc4 14.Lxc4 Db6+ 15.Kh1 Dxb2 16.Sd5 Lxh6 17.Dxh6 Dg7 gerade so zurecht, obwohl er auch dann nach 18.Dh4 nicht gut steht.
Methodisch gesehen, ist es nun klar, dass 11.Lg5 mit der Idee 12.Sd5 die härteste Drohung darstellt.
Dagegen hilft 11…b5 12.Sd5 bxc4 13.Lxe7 nicht, denn er darf nicht mehr zurücknehmen: 13…Sxe7 14.Sxe7+ Kh8 15.Sg5 h6 16.Sxf7+ Txf7 17.Sxg6+ Kh7 18.Dxd8.
11…fxe4 12.Sd5 exf3 13.Sxe7+ würde eine Qualität verlieren. Weiss sollte sich überlegen, ob nicht einfach 12.dxe4 mit der erneuten Drohung 13.Sd5 stärker wäre.
Nach 11…Dc7 12.Lh6 b5 kommt der Springer mit Tempo in den Angriff: 13.Sd5.
11…De8 12.Tae1 fällt allein schon optisch aus.
Der Computer schlägt 11…Dd7 vor. 12.Lh6 b5 13.Sd5 und 13…bxc4 geht wegen 14.Sf6+ nicht. Dann eben 13…Sxd5 14.Lxd5 Lb7 15.Sg5
Fazit: Weiss steht nach 11.Lg5 auf Gewinn.
Er verhindert mit seinem nächsten Zug mechanisch 11…b5, was die Schablonendrohung Lh6 erneuert. Seine Chancen, dass der Gegner 11…h5 nicht findet, stehen sehr gut, er hat es im vorherigen Zug ja auch nicht gefunden.
11.a4? Dc7??
Sein letzter Schablonenzug. Game over. Es war nur zwei Züge lang eine Schachpartie.
12.Lh6 Le6 13.Lxg7 Kxg7 14.Lxe6 fxe6 15.Sg5 Dd7
16.Dxh7+ Kf6 17.e5+ wird wunderschön Matt. Auf 17…dxe5 oder 17…Sxe5 kommt 18.Se4#.
17…Kxe5 18.Dg7+ Tf6 19.Tae1+ Kd4 20.Sf3#
17…Kxg5 18.h4+ Kg4 19.Dh6 und Matt im nächsten Zug.
Zur Strafe musste er noch bis zum 41. Zug weiterspielen. Diese Erfahrung habe ich auch schon gemacht, dass Zweitausender erst einen Zug vor dem Matt aufgeben, und erst noch für jeden Zug einen Haufen Bedenkzeit verschwenden. Haben sie endlich aufgegeben, fragen sie dann ganz unschuldig, ob ich es noch anschauen wolle…
16.exf5 h6 17.Sxe6+ Kh7 18.Se4 Sxf5 19.Sxf8+ Txf8 20.Sf6+ Txf6 21.Dxf6 h5 22.Tae1 Se5 23.Te4 Sg4 24.De6 Dxe6 25.Txe6 Sge3 26.Tf2 b5 27.axb5 axb5 28.c3 Sd5 29.Txf5 gxf5 30.Txd6 Sf4 31.g3 Se2+ 32.Kf2 Sc1 33.Ke3 Kg7 34.Td5 c4 35.dxc4 bxc4 36.Txf5 Kg6 37.Tc5 Sd3 38.Txc4 Sxb2 39.Td4 Kf5 40.Kd2 h4 41.gxh4 1–0
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe an sich nichts gegen Patenteröffnungen. Colle zum Beispiel ist eine höchst anspruchsvolle Angelegenheit, und wird gelegentlich auch gerne von Grossmeistern gespielt. Wogegen ich etwas habe, ist, dass diese Eröffnungen als Angriffs-Systeme, die vollautomatisch zum Gewinn führen, verkauft werden.
Was Schwarz angeht, halte ich das Modezeug Tiger’s Modern und Dragadorf für Zweitausender als völlig ungeeignet. Diese Verteidigungen setzen viel zu viel dynamisches Stellungsverständnis voraus.
Auch Skandinavisch wird als Patenteröffnung angepriesen, und ist bei Zweitausendern sehr beliebt. Das ist doch einfach Quatsch. Wer sich vor Theorielawinen nach 1.e4 e5 oder 1.e4 c5 fürchtet, sollte sich eine Caro-Kann-Variante oder den Franzosen, wie ihn Jussupow in den Tigersprüngen propagiert, aussuchen, statt im Skandinavisch schlecht zu stehen.
Nach 1.d4 bietet sich z. B. als relativ einfache Eröffnung ohne viele Buchvarianten das angenommene Damengambit an.
Gut, davor stehen ein paar Patenteröffnungen wie Colle, Zukertort, Londoner System und Torre-Angriff. Diese Systeme basieren allesamt darauf, dass Weiss nicht c2-c4 spielt, und daher Sg1-f3 machen muss. Ein prachtvolles Gegenpatent wäre doch dann Lc8-f5, oder nicht? Danach muss Weiss schon c2-c4 spielen, wenn er auf Vorteil hoffen will. Leider tendiert 1.d4 d5 2.Sf3 Lf5 zur Langeweile in total ausgeglichenen Stellungen, wenn Weiss nicht c2-c4 zieht.
Ich würde auch gerne meine Gegner mit meinem privaten Patent zusammenfalten, nur habe ich eingesehen, dass das nicht geht, und ich mich besser darauf konzentriere, gute Züge zu machen, und vorzugsweise nichts einzustellen, was leider schon bald zur Gewohnheit geworden ist. Aber auch wenn ich etwas einstelle, kann ich beurteilen, ob ich gute Züge gemacht habe, und wenn der Ärger einmal verflogen ist, werde ich mich gern an selbige erinnern.