Die Meisterschaft 1991

1991 wurde der Schachklub Luzern zum ersten Mal in seiner Geschichte Schweizer Mannschaftsmeister. Richtig, Schachklub. Zwar wurde die Schachgesellschaft dem Vernehmen nach 1875 gegründet, diese fusionierte aber 1967 mit dem Schachklub Lasker und nannte sich fortan Schachklub. Den ersten Titel als Schachgesellschaft holte sich der Verein nach einer Namensänderung 2018.

Werner Kaufmann – Josef Kupper
SMM 1991
1.d4 e6 2.Sf3 Sf6 3.c4 b6 4.Sc3 Lb4 5.Lg5 Lb7 6.e3 O-O 7.Ld3 h6 8.Lh4 d6 9.Tc1 Sbd7 10.O-O Lxc3 11.Txc3 De7 12.Sd2 c5 13.Le4 d5 14.cxd5 Lxd5 15.dxc5 g5 16.Lg3 Sxc5 17.Lb1 Tac8 18.Dc2 Db7 19.f3 Lc6 20.Txc5 bxc5 21.Le5 Se4 22.Sxe4 Lxe4 23.fxe4 1-0

1991 wurden ein paar Partien der SMM erstmals von Chessbase erfasst. Das gibt mir die Gelegenheit, ein wenig in alten Sünden zu schwelgen. Mein Gegner war nicht – wie Chessbase angibt – Josefs Sohn Patrick, sondern die Schweizer Schachlegende himself. Es war seine letzte Turnierpartie, sieht man von Zürcher Firmenmeisterschaften ab, welche er treu für seine geliebte Rentenanstalt bestritt, auch noch als er pensioniert war. Ein letztes Mal hatte ich mit ihm Kontakt, als ich sein Problemschachachbuch „60 Jahre Freude am Kunstschach“ vertrieb. Bei dieser Gelegenheit beklagte er sich bitter über den unrühmlichen Abgang von der Turnierbühne, den ich ihm bereitet hatte.

1.d4 e6 2.Sf3 Sf6 3.c4 b6 4.Sc3 Lb4 5.Lg5 Lb7 6.e3 O-O

Eigentlich erwartete ich von Kupper 6…h6 7.Lh4 g5 8.Lg3 Se4 9.Dc2 d6 10.Ld3 Lxc3+ 11.bxc3 f5. Darauf hatte ich 12.c5 geplant, was ein paar Jahre zuvor in einer GM-Partie vorgekommen war. Stockfish widerlegt das leicht und locker mit 12…bxc5 13.Db3 Ld5 14.c4 Sxg3 15.hxg3 Lxf3 16.gxf3. Ich bekam erst 1993 Gelegenheit, es zu spielen und scheiterte kläglich. Aber keineswegs, weil mein Gegner es etwa widerlegt hätte. Ganz überraschend tischte mir Pawel Silberring selbiges mit Weiss vor ein paar Jahren auf. Die Partie verlief völlig chaotisch, da auch ich diese simple Zugfolge nicht kannte. Auf dem Höhepunkt der Verwirrung einigten wir uns auf ein Remis.

7.Ld3 h6 8.Lh4 d6 9.Tc1 Sbd7 10.O-O Lxc3 11.Txc3 De7 12.Sd2 c5 13.Le4 d5 14.cxd5 Lxd5 15.dxc5

Nachdem ich diesen Zug ausgeführt hatte, verfiel Josef Kupper in ein langes Brüten. Zunächst hatte ich die Halluzination, nun eine Figur eingestellt zu haben, und brauchte ein paar Minuten um zu merken, dass es nach 15…g5 16.Lg3 Lxe4 17.Ld6 Dd8 18.c6 zwar nicht berauschend, aber vielleicht gar nicht so übel stand.

Ich war nämlich in einem erbärmlichen Zustand. Ich hatte die Nacht zuvor nur drei oder vier Stunden geschlafen und einen gehörigen Kater. Der Anlass zur stattgehabten Feier ist mir entfallen. Schlimmer als der Kater war das schlechte Gewissen. Dies war die Schlussrunde, wir führten mit einem Punkt, und brauchten ’nur‘ noch Zürich zu schlagen. Die Zürcher schwebten in Abstiegsgefahr und waren mit der vollen Montur angetreten. Sie hatten sogar den IM Josef Kupper reaktiviert.

Ich beschloss, mir zwei doppelte Espressi zu genehmigen, und ging dann zur Toilette. Dort traf ich einen völlig entnervten Werner Hug an, welcher sich bitter beklagte, dass sein Gegner Robert Hübner einem Remis ausgewichen war, indem er eine Verluststellung in Kauf nahm. „Dann schlag‘ ihn doch“ riet ich ihm, aber schon ein Blick in sein Gesicht verriet mir, dass das nicht geschehen würde.

Ich kam ans Brett zurück, Kupper war immer noch am Brüten. Dann führte er meinen Angstzug aus, welcher nebenbei bemerkt auch der beste ist.

15…g5 16.Lg3 Sxc5

Nach einigem weiteren Werweissen entschied er sich gegen 16…Lxe4 oder 16…Sxe4.

In derTat ist 16…Lxe4 17.Ld6 Dd8 18.c6 Sc5 19.Lxf8 Dxf8 20.b4 Sd5 21.Txc5 bxc5 22.Sxe4 cxb4 nicht so aussichtsreich, wie es aussieht, wegen seiner Schwächen am Königsflügel. 20…Sd5 ist nicht notwendig, auch 20…Sa6 21.Sxe4 Sxe4 22.Tc4 Sf6 23.a3 sollte genügen, die Stellung zu halten.

Auch nach 16…Sxe4 17.Sxe4 Lxe4 18.Ld6 Dd8 19.c6 Sc5 20.Lxf8 Dxf8 21.b4 ist es ausgeglichen.

Trotzdem, er hätte einen von beiden Zügen wählen sollen, denn nun steckt er in Schwierigkeiten. Ich selber atmete auf, ich hatte das sichere Gefühl, nun Oberwasser zu haben und tatsächlich brauchte ich nur noch etwa fünf Minuten für den Rest der Partie.

17.Lb1 Tac8 18.Dc2 Db7??

Unglaublich, aber psychologisch erklärbar. Er hatte seit mindestens einer Stunde das Gefühl, am Drücker zu sein, ohne aber etwas konkretes nachweisen zu können, und so machte er ohne viel Überlegung einen ‚aggressiven‘ Zug.

18…Lb7 war der einzige Zug. Nach 19.f3 Tfd8 20.Sc4 La6 21.Tc1 steht er schwierig, aber keineswegs verloren.

19.f3

Hier realisierte er, dass die Partie vorbei war und die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen.

19…Lc6 20.Txc5 bxc5 21.Le5 Se4 22.Sxe4 Lxe4 23.fxe4 1-0

Luzern besiegte Zürich 6:2 und wurde Schweizer Meister. Das war der Schweizerischen Schachzeitung keinen Bericht wert, nicht einmal eine Notiz erschien. Selbst die Resultate der Schlussrunde und die Abschluss-Tabelle wurden ‚vergessen‘. Die Partie Hübner-Hug ist aus den Datenbanken verschwunden. Vielleicht können Sie sie wieder auftreiben? Werner Hug wurde nie GM, obwohl ihm der Titel als Jugendweltmeister 1971 gemäss FIDE-Reglement zusteht. Er selber schämt sich, einen ‚unverdienten‘ Titel einzufordern, und der Schachverband hat nie Anstalten dazu gemacht. ‚Euse Werni‘ ist bei weitem der Rekordspieler der NLA. Er spielt seit über 50 Jahren praktisch jedes Match und ist 15-facher Mannschaftsmeister.

Damals spielten nur 8 Mannschaften in der obersten Liga. Der letzte, Zürich, musste einen Auf/Abstiegskampf gegen den Sieger der NLB bestreiten. Zürich gewann hoch gegen Martigny und blieb der Liga erhalten.

Unsere Aufstellung war: GM Robert Hübner, IM Beat Züger, IM Andreas Huss, FM Gary Krähenbühl, FM Werner Kaufmann, Andrin Wüest, Franz Aschwanden, Miodrag „Mile“ Marković. FM Urs Rüetschi war gerade in den Ferien. Was die Titel betrifft, bin ich mir nicht sicher. Gary war 1991 wohl schon FM, Urs vielleicht schon, Andrin hat es bis jetzt immer noch nicht geschafft und Franz hat bald darauf mit dem Schach aufgehört. Mile habe ich nach 1995 aus den Augen verloren.

Ich selber wurde erst 1995 FM. Das lag daran, dass ich 1985 am Prager Open teilnahm. Mein damals bester Freund hatte mich angemeldet, fand es aber nicht für nötig, meine 2280 FIDE-Elo anzugeben. So wurde ich von der Turnierleitung mit 2200 eingestuft, verlor die erste Partie gegen einen tschechischen IM, und war fortan der Meute junger, hungriger östlicher 2100-er und 2200-er ausgeliefert, die für mich, der ich nur das behäbige Schweizer Schach kannte, ungewohnt scharf spielten. Ich verlor daher dann noch ein paar weitere Elo, was mich im ‚Titelrennen‘ um 10 Jahre zurück warf. Zu dieser Partie trat ich bereits wieder mit 2245 Elo an. Ich bekam den Titel 1995. Es ist ziemlich schwierig, mit durchschnittlich rund 10 FIDE-gewerteten Partien pro Jahr innert 10 Jahren 150 Elo zu gewinnen. Darauf bin ich schon etwas stolz.

A propos Prag. Wenn Sie sich jetzt in der Corona-Zeit eine Webcam vom Altstädter Ring ansehen, bekommen Sie einen Eindruck, wie das damals aussah. Keine Touristen, keine Eingeborenen, keine Strassencafés. Zudem waren die Häuser nicht so farbig herausgeputzt wie heute, sondern dunkelgrau in dunkelgrau. Wegen dem Benzin-Verschnitt damals, der einen unglaublichen Smog produzierte, welcher die Bäume schon im August zwang, die Blätter fallen zu lassen. Etwas Leben gab es nur in Kellerkneipen in der Umgebung, und auch nur, wenn man genügend Schwarzgeld hatte. Dann aber konnte man sich Jazz der Weltklasse für ein Trinkgeld anhören und dabei den Schampus in Strömen fliessen lassen. Dies alles in charmanter und hübscher einheimischer Begleitung, welche solche Privilegien nur vom Hörensagen kannte. Die geschenkliche Anerkennung dafür gab es in der Parfümerie für die zwangsumgetauschten Tusex-Bons relativ günstig. Das Spiellokal war das ‚Kulturhaus‘ und es empfahl sich, schon im Hotel zu scheissen, denn ein Toilettenbesuch war unerträglich, die Scheisshäuser schon vor der Runde verstopft, und Papier gab es nicht. Das Nachbarhaus war eingerüstet, aber nicht, um es zu renovieren, sondern vielmehr um zu verhindern, dass den Passanten die Steine auf den Kopf fielen. Marlboro kosteten an der Trafike ein Vermögen, aber tschechische Zigaretten und starken Kaffee gab es im Kulturpalast so gut wie umsonst. Trotz allem war Prag eine der schönsten Städte der Welt. So viele kostbare Erinnerungen, ich könnte noch lange schwelgen. Wer beim Anblick des Hradschins, des Veitsdoms, der Karlsbrücke, der Kleinseite, des Kafkahauses und der Synagoge keine feuchte Augen bekommt, ist selber schuld. Ich habe Prag noch viele Male besucht. Persönliche Erinnerungen verbinde ich aber mit ganz anderen Gegenden Prags, vor allem Prag 6, weitab von Touristenströmen.