Tauschverbot

Tausche nur, wenn es Drohungen ermöglicht oder erzwungen ist, und meide erzwungene Täusche!

Laszlo Vadasz – John Nunn
Tungsram Budapest, 1978

1.Sf3 d5 2.c4 e6 3.g3 c5 4.Lg2 Sc6 5.0–0 Sf6 6.cxd5

Natürlich geschieht dieser Zug gedankenlos, einfach weil man der Theorie folgt. Im Sinne des Tauschverbots wäre aber das Bauernopfer 6.d4 angebracht. einfach um Schwarz zu ein paar Täuschen zu verleiten und anschliessend den Bauern zurück zu holen:
6.d4 dxc4 7.dxc5 Dxd1 8.Txd1 Lxc5 9.Sbd2 c3 10.bxc3 0–0 11.Sb3 Le7 12.Sfd4 mit Entwicklungsvorsprung und Druck auf der langen Diagonalen.

Weigert sich Schwarz mit 6…Le7, könnte Weiss mit 7.Sc3 fortsetzen, wonach Schwarz mit 7…0-0 beharren kann, wonach höchst wahrscheinlich die Partiestellung entsteht. Mit 7…dxc4 kann er einen Bauern nehmen, was eine Drohung aufstellt, nämlich die, den Bauern zu behalten, wonach das Spiel schon konkret ist. Eine nette Variante wäre hier 8.Da4 cxd4 9.Sxd4 Dxd4 10.Lxc6+ Ld7 11.Td1 Lxc6 12.Dxc6+ bxc6 13.Txd4

6…exd5 7.d4 Le7 8.Sc3 0–0 9.Lg5 cxd4 10.Sxd4 h6

Der Tausch auf d4 war einigermassen erzwungen, aber auch gerechtfertigt, weil nun Schwarz seinerseits zu einem schlechten Tausch einladen kann.

11.Le3 Te8

Eine gute Idee wäre nun, mit 12.Da4 zum Tausch auf d4 einzuladen, was Schwarz mit 12…Ld7 dankend ablehnen sollte.
Der nächste Zug von Vadasz ist derart schwach, dass ich ihm zwei Fragezeichen verpasse. Der Tausch war keineswegs erzwungen, und die Drohung, die er nachschiebt kontraproduktiv, weil er in eine Gegendrohung hinein läuft.

12.Sxc6?? bxc6 13.Da4? Ld7 14.Dc2 Dc8 15.Tfd1

Es ist so eine Sache mit dem Abtausch des Fianchetto-Läufers. Normalerweise investiert man ein paar Tempi für das Manöver, und es sollte dann schon ein langfristiger Vorteil herausschauen. Das ist hier nicht der Fall. 15…Lh3 16.Ld4 Lxg2 17.Kxg2 De6 18.e3 ist nur ausgeglichen. Wenn schon, sollte er den Zug mit 15…Lf5 16.Da4 Lh3 verstärken.

Besser war 15…Sg4 16.Lf4 Lc5 17.Tf1 Lb6.

15…Lh3?! 16.Lh1?! Sg4

Er wich zu Unrecht dem Tausch aus und ist nun in Schwierigkeiten. 17.Ld4 c5 18.Sxd5 cxd4 19.Dxc8 Taxc8 20.Sf4 war sein bester Versuch. 20…d3 21.Txd3 Lc5 22.Sxh3 Txe2 23.Lf3 Sxf2 24.Lxe2 Sxd3+ 25.Kg2 Sxb2 26.Tc1 und er kann noch kämpfen.

17.Ld2?! De6 18.Le1 Tad8 19.e4 Df6

19…Df6 ist eine kleine Falle des Rechenkünstlers John Nunn. Vadasz hätte 20.Tac1 d4 probieren sollen. Jetzt nicht 21.Sa4 c5 22.Sxc5 Lxc5 23.Dxc5 Se3 mit Qualitätsverlust, 23.fxe3 geht nicht wegen dem Matt auf f1, sondern 21.Sb1. Er steht schlecht, aber nicht verloren.

20.exd5? Se3 21.Da4 Sxd1 22.Txd1 cxd5 23.Sxd5 De6 24.La5

Das sieht wie die Rettung aus, aber es gibt Nunn die Gelegenheit zu seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Kombinieren.

24…Lc5

Er deckt den Turm indirekt, und droht 25…De2.

25.Dc2 Lb6 26.Sxb6 Df5 27.Txd8 Txd8 0–1


Werner Kaufmann – Sebastian Muheim

SGM, 2. Bundesliga 28.02.2015

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.d4 d5 6.Ld3 Sc6 7.0–0 Le7 8.c4 Sb4 9.Sc3 Sxd3 10.Dxd3 Sxc3 11.bxc3 0–0 12.Te1 dxc4 13.Dxc4 Le6 14.Db5 Lf6?

Die Partie fand im Spitzenkampf zweier ungeschlagener Mannschaften in der zweitletzten Runde statt. Während der Eröffnung fragte ich mich, wozu er Russisch spielte. Ich vermutete, dass er die Stallorder hatte, mit Schwarz auf Remis zu spielen.

Sein unmotiviertes Bauernopfer belehrte mich eines besseren. Offenbar ist Russisch seine Standarderöffnung, und er pflegt damit auf Gewinn zu spielen. Der beste Zug an dieser Stelle war 14…b6, mit Totalausgleich.

Ich hätte den Bauern auch gleich nehmen können, z. B. 15.Dxb7 Ld5 16.Db5 Lxf3 17.gxf3, meine Dame geht nach d3  und es ist nicht zu sehen, was er haben will.

Mein nächster Zug ist weniger gut, weil er dann die Rückkehr der Dame nach d3 verhindern kann. Aber der Zug brachte ihn emotional aus dem Gleichgewicht, weil er ihn übersehen hatte.

15.La3 a6 16.Dxb7 Ld5 17.Db4 Te8

Das war wegen der Drohung 18.Dxf8+ erzwungen. Erst hier begann ich ernsthaft zu überlegen und fand heraus, dass er nach dem geplanten 18.Sd2 Lg5 19.Sf1 Txe1 20.Txe1 Lxa2 den Bauern zurückholen würde.

Wenn ich ungleichfarbige Läufer vermeiden wollte, müsste ich ihm wohl Lxf3 zugestehen, oder nach 18.Dc5 Txe1 19.Txe1 Lxa2 den a-Bauern aufgeben müssen. Diese zweite Option wäre korrekt gewesen. Ich behalte nach 20.Lb4 einen kleinen Vorteil.

Das methodische 18.Da4, was den Te8 ein zweites Mal angreift, entging mir. Danach ist 18…Lxf3 nichts wert wegen 19.gxf3, Turm- und Damentausch auf der e-Linie, und einem gesunden Bauern mehr. So konnte ich den Bauern behalten und die Schwächung meines Königsflügels vermeiden.

Wenn er auf 18.Da4 selber das Tauschverbot missachtet, indem er mit 18…Txe1+ 19.Txe1 Lxa2 den Bauern frisst, klemme ich den Läufer mit 20.c4 ein. Nach dem erzwungenen 20…Tb8 21.Dxa6 Ta8 22.Dc6 Lxc4 23.Dxc4 Txa3 24.Dxc7 hätte ich schöne Gewinnaussichten.

Freiwillige Täusche sind schlecht, wenn sie gegnerische Figuren aktivieren. Das ist das Tauschverbot. Ich brauchte einige Zeit, um mich zu überwinden, es zu missachten.

18.Txe8+ Dxe8 19.Dc5 Lxf3 20.gxf3

Diese Stellung hatte ich bei meinem Tausch vor Augen. Ich sah 20…De2, vermutete aber, dass er nicht zwei verbundene Freibauern meinerseits riskieren würde. Genau das hätte er aber tun sollen, weil er nach 21.Dxc7 Lh4 22.Tf1 Dxf3 23.Ld6 h5! einen Mattangriff droht. Nach 24.Tb1 h4 25.Le5 Te8 26.Db7 Dxb7 27.Txb7 Lxe5 28.dxe5 Txe5 bleibt mir nur ein leicht schlechter stehendes Turmendspiel.

Für mich ist diese Variante ein weiterer Beweis für die Richtigkeit des Tauschverbots.

Nach seinem nächsten, passiven Zug bekomme ich recht.

20…c6? 21.Df5 Td8 22.De4 Dd7 23.Te1 h5 24.Lc1!

Das ist objektiv nicht der beste Zug, aber ein hübscher Trick, auf den er herein fällt.

24…c5? 25.dxc5 Lxc3 26.c6 Dc8 27.Lg5 Lxe1 28.Lxd8 Lxf2+ 29.Kxf2 Dxd8 30.Ke2 Kf8 31.Dc4 Dc8?

Er hätte natürlich die Falle 31…Dc7 stellen sollen, weil dann 32.Dxa6 Dxh2+ remis wird, weil meine Dame im Offside steht. Richtig wäre dann 32.Kd3, jetzt nicht  32…a5 33.Dc5+ Ke8 34.Kc4 und das Eindringen des Königs auf b5 wird entscheiden, sondern 32…Ke7 33.Dxa6 Kd6, und ich muss den Gewinn erst noch finden. So aber ist es nur eine Fingerübung.

32.c7 Ke7 33.Dc6 h4 34.Ke3 g6 35.Kd4 g5 36.Kc5 Df5+ 37.Kb6 Dc8 38.Dc5+ Ke8 39.De5+ 1–0

Unmotivierte Täusche sind zu unterlassen. Ich habe es meinen Schülern immer und immer wieder gepredigt. Es gibt neutrale Täusche, die sind in Ordnung, aber manche Täusche bringen Nachteile, weil sie die eigenen Optionen vermindern oder die gegnerischen vermehren. Klar, die getauschte Figur könnte möglicherweise noch matt setzen, wenn sie nicht schon neben dem Brett stünde. „Never change a winning piece!“. Ich kenne kein einziges Buch, das das Tauschverbot thematisiert.

Typische Beispiele sind Partien, in denen die eine Partei auf Remis spielt und sich durch Abtäusche konsequent in Schwierigkeiten bringt. Zu diesem Thema ein Klassiker.

Aaron Nimzowitsch – José Raúl Capablanca

New York 1927

 1.c4 Sf6 2.Sf3 e6 3.d4 d5 4.e3 Le7 5.Sbd2 0–0 6.Ld3 c5

5.Sbd2 war keine gloriose Idee. 7.0-0 oder 7.b3 wären vernünftige Züge. Nimzowitsch beginnt bereits abzutauschen. Sein nächster Zug befördert den Sb8 in eine aktive Stellung. Zudem muss er im übernächsten Zug den Ld3 wegziehen.

7.dxc5 Sa6 8.0–0 Sxc5 9.Le2 b6

Angezeigt war 10.b3, und er steht nur geringfügig schlechter. Die Tauschorgie nimmt ihren Lauf. Er aktiviert eine weitere schwarze Figur.

10.cxd5 Sxd5 11.Sb3 Lb7

Der nächste Tausch ist schon notwendig, damit der Sc5 nicht nach e4 hüpft. Dadurch kommt der Le7 auf ein besseres Feld.

12.Sxc5 Lxc5 13.Da4 Df6

Der Weltmeister steht besser. Ganz und gar eine Folge der Tauschsucht. Mit seinem nächsten Zug zwingt der Theoretiker ihn immerhin zu einem Tausch. Täusche zu erzwingen ist im allgemeinen nicht schlecht. Hier hielte es seinen eigenen Nachteil im Rahmen…

14.La6 Lxa6 15.Dxa6 Sb4 16.De2

… wenn er statt dessen 16..Dc4 Tac8 17.Ld2 gefunden hätte. So aber sehen wir, dass es ihm nur darum ging, ein weiteres Figurenpaar verschwinden zu lassen.

16…Tfd8 17.a3 Sd3

Er sollte 18.Tfd1 Se5 19.Txd8 Txd8 20.Se1 probieren. Der Nachteil ist unbestreitbar, aber nicht gross. Nimzowitsch ist aber von Tauschitis befallen, und verschlechtert seine Stellung weiter.

18.Se1 Sxe1 19.Txe1 Tac8 20.Tb1 De5?

Capablanca lässt die Zügel schleifen. 20…Dg6 21.Ld2 Dc2 hätte vermutlich bereits gewonnen.

21.g3 Dd5 22.b4 Lf8 23.Lb2 Da2 24.Ta1 Db3 25.Ld4 Tc2

Nimzowitsch steht zwar ungemütlich, aber mit 26.Dd1 Tdc8 27.Te2 Dc4 28.Txc2 Dxc2 29.Dxc2 Txc2  30.Td1 wäre es wahrscheinlich zu halten gewesen. Für einmal versäumt er es, nützliche Täusche zu erzwingen. Der Damenausfall ist unangebracht und fällt einer petite combinaison zum Opfer.

26.Da6 e5 27.Lxe5 Tdd2

Mit 28.Df1 De6 29.Ld4 hätte er sich noch wehren können. 29…Dh6 30.h4 De6 31.Tfd1 Txf2 32.Dxf2 Txf2 33.Kxf2 Ld6 und er sollte sich noch zähe verteidigen können..

Mein strategisches Ziel in einer Schachpartie ist es, zwischen mehreren Gewinnfortsetzungen wählen zu können. Nimzowitsch hat keine, aber auch gar keine Versuche in diese Richtung unternommen. Dass er jetzt den einzigen Zug, der eine unmittelbare Niederlage abwendet, nicht findet, ist nichts als folgerichtig.

28.Db7 Txf2 29.g4 De6 30.Lg3 Txh2 31.Df3 Thg2+ 32.Dxg2 Txg2+ 33.Kxg2 Dxg4 34.Tad1 h5 35.Td4 Dg5 36.Kh2 a5 37.Te2 axb4 38.axb4 Le7 39.Te4 Lf6 40.Tf2 Dd5 41.Te8+ Kh7 0–1

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