Klassische Verteidigungen

Die Premiere der Stellung nach 1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb4+ 4.Sc3 Lb7 5.Ld3 f5 fand 1899 in London in einer Partie Mason-Tinsley statt. Mason antwortete 5.De2 Sf6 6.f3, was auch in der nächsten Partie, Chajes-Fahrni, Karlsbad 1911 kam. Die Idee wurde 1954 in Fazekas-Norman in Nottingham mit 5.Dh5+ g6 6.De2 verfeinert.

In Tartakower-Réti, Budapest 1913, wurde 5.d5 gespielt Réti war ein gelehriger Adept und wiederholte den Fehler 5…Se7 in einer zweiten Partie der gleichen Gegner nicht mehr und spielte da das korrekte 6…De7.

Als nächstes wurde in Dobias-Graf, Prag 1937, 5.Dc2 Dh4 ausprobiert. Was auch in der Premiere der Englischen Verteidigung auf modernem GM-Niveau zwischen Speelman und Miles an der Britischen Meisterschaft in Morecambe 1975 geschah, aber ohne 5…Dh4 . Allerdings waren die Herren Speelman und Miles damals erst etwa 20 Jahre alt und noch nicht Grossmeister. Miles lernte schnell. Schon in Hastings 1976 setzte er die richtige Idee 5.Dc2 Dh4 6.Ld3 f5 7.g3 Dh5! 8.Le2 Df7! gegen Ivan Farago in die Tat um. Ich selber hatte bei meiner persönlichen Premiere der Englischen Verteidigung am Weihnachtsturnier Zürich 2009 noch 7…De7 gespielt und diese Ungenauigkeit ein halbes Jahr später sogar wiederholt.

Wieso aber der Name „klassische Verteidigungen“. Nun, der Angriff auf den Be4 ist das Hauptmotiv dieser Eröffnung. Somit ist Weiss nach 1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb4+ 4.Sc3 Lb7 5.Ld3 f5 bereits in der Verteidigung.

De2-Verteidigung ohne Schach

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb4+ 4.Sc3 Lb7 5.Ld3 f5 

Wenn Weiss mit Dd1-e2 verteidigen will, sollte er sich die Frage stellen, ob er nicht zunächst mit 6.Dh5+ g6 den schwarzen Königsflügel auflockern will. Es gibt keine klare Antwort.

6.De2 

6.Dh5+ sehen wir uns in der nächsten Variante an. Hier ist auch die Neuerung (!) 6…c5 spielbar 7.d5 fxe4 8.Lxe4 Sf6 9.Lg5 0-0 mit gutem Spiel für Schwarz. Korrekt ist 7.Sf3 fxe4 8.Lxe4 Lxe4 9.Dxe4 Sc6 10.d5 Sf6 11.De3 Lxc3+ 12.bxc3 Se7 13.dxe6 0-0 14.0-0 Sg6. 10.dxc5 Lxc5 11.0-0 Sf6 12.Dd3 gibt aber Weiss die besseren Aussichten.

6…Sf6 

Erste Variante

Hier wurde 7.Lg5 weitaus am meisten gespielt.

Das endete meist in einem Remis-Endspiel nach 7…fxe4 8.Lxe4 Lxe4 9.Lxf6 Dxf6 10.Dxe4 Sc6 11.Sf3 0-0 12.0-0 Df5. 7…fxe4 verstösst gegen das Tauschverbot, was bedeutet, dass vermutlich besseres zu haben ist.

7…fxe4 8.Lxe4 Sxe4 ist eine Erfindung des Russischen Pioniers Artur Janturin. Leider ist das Damenopfer nicht ganz korrekt. 9.Lxd8 Sxc3 10.Dg4 Se4+ 11.Ke2 Kxd8 12.f3 Sf6 14.Dxg7 Tf8 15.c5 Ke8 16.a3 La5 17.b4 Sc6 18.bxa5 Sxd4+ 19.Kd1 Sf5 20.Dg5 Ke7 widerlegt es, zumindest theoretisch. Man kann schon davon ausgehen, dass Weiss den einen oder anderen Fehler machen wird, und es daher auch gerne einmal riskieren. In einer Partie Janturins hatte sich das Blatt bereits nach 10.Dh5+ g6?! [10…Kxd8 11.a3 Le7 12.f3 Sa4 13.b3 Sb2 14.Se2 La6 15.Dg4 Lf6 16.Tb1 Sxc4] 11.De5? 0-0 gewendet. Richtig war 11.Dh4 Lxg2 12.bxc3 Lxc3+ 13.Ke2 Sc6 14.Lf6 Lxa1 15.Lxh8 Lxh1 16.Dxh7 0-0-0 17.Lf6 Sxd4+ 18.Kd3 Tf8 19.Dg7 Txf6 20.Dxf6 und gewinnt.

7…c5 wäre eine Neuerung. In welcher anderen Eröffnung sind schon Neuerungen im 6. und 7. Zug möglich? Weiss kann zwischen 8.d5, 8.e5 und 8.Sf3 aussuchen.

8.d5 fxe4 9.Lxe4 0-0 10.Sf3 exd5 11.cxd5 La6 12.De3 h6 13.Lxf6 Dxf6 14.0-0-0 d6 15.Lc2 Df4 mit gleichem Spiel.

8.e5 dxe4 9.a3 La5 10.b4 dxc3 11.bxa5 Lxg2 12.exf6 gxf6 13.Dh5+ Ke7 14.Sf3 Lxh1 15.Lxf6+ Kxf6 16.Dg5+ Kf7 17.Se5+ Ke8 remis. Es gibt einige Abweichungen, aber im Prinzip kommt es auf das ewige Schach am Schluss heraus.

8.Sf3 fxe4 9.Lxe4 Lxe4 10.Lxf6 Dxf6 11.Dxe4 Sc6 12.0-0 0-0 mit gleichem Spiel. Übrigens ist hier Janturins Damenopfer 9…Sxe4 spielbar: 10.Lxd8 Sxc3 11.De5 0-0 12.a3 Sc6 13.Dh5 La5 14.Lh4 Sd5+ 15.b4 Sf4 16.Dg4 cxb4

7…De7 ist eine weitere Neuerung. Sie geht auf mein Konto. Ich habe sie 2014 an einer Innerschweizer Meisterschaft gespielt. Das wird nach 8.Lxf6 Dxf6 9.Sf3 oder 8.a3 fxe4 9.Lxe4 Lxe4 10.Lxf6 Dxf6 11.Dxe4 0-0 12.Sf3 Lxc3+ 13.bxc3 Sc6 14.0-0 ins oben skizzierte Endspiel einlenken.

8.f3 h6 und Weiss sollte nicht tauschen, sondern mit 9.Lh4 g5 10.Lf2 eine gesunde Stellung anstreben. 10…Lxc3 11.bxc3 Da3 wäre der Trick, den ich ausgetüftelt hatte. Weiss verliert einen Bauern. Das ist für den Computer nicht Besorgnis erregend, für einen Menschen wohl schon eher. Ich ging davon aus, dass niemand das vorteilhafte 12.Td1 Dxc3+ 13.Kf1 Sh5 14.g3 0-0 15.exf5 exf5 16.h4 g4 17.De3 finden würde.

8.Sf3 war der erwartete Zug. 8…Lxc3+ 9.bxc3 Da3 10.Sd2. Nun zog ich 10…Sxe4 11.Lxe4 Lxe4 12.0-0 Lb7? [12…0-0 mit Ausgleich] und kam nach 13.Dh5+ in Schwierigkeiten. 10…fxe4 11.Lxf6 exd3 12.Dh5+ g6 13.Dh6 Tf8 14.Lg5 Tf7 war mir nicht geheuer, es hätte mir auch nach 15.0-0 Dxc3 16.d5 Sa6 keinen Vorteil gebracht.

7…h6 8.Lxf6 Dxf6 9.Sf3 ist anspruchslos, aber gleicht aus.

7…0-0 ist ebenfalls gut, wurde aber nur in 5 von 58 Partien gespielt.

8.e5 Lxg2 9.exf6 Txf6! 10.f3 Lxh1 11.0-0-0 Sc6. Weiss kann nun mit 12.De3 Df8 13.Lxf6 Dxf6 14.Sge2 den Läufer fangen. Nach 14…Lg2 15.Sf4 Dxd4 wird er keine Freude daran haben. Es gibt noch andere Fang-Methoden, welche aber ebenfalls endlos lange dauern, und Schwarz derweilen etwas Material einsackt. Der giftigste Versuch ist 12.Df2. Schwarz muss schon 12…Lxc3 13.bxc3 e5! finden, was 13…e4 droht. 14.Lxf5 h6 15.Lxf6 Dxf6 16.Lxd7 exd4 17.cxd4 Dd6. Weiss bekommt den Läufer nie recht zu fassen, und wenn, läuft er auf der anderen Seite in einen Mattangriff. Der Computer demonstriert 18.Lg4 Td8 19.Se2 Se5 20.De3 Sxg4 21.fxg4 Lc6 und er ist draussen.

Wegen dieser Variante hat man bis etwa ins Jahr 2000 7…0-0 zu unrecht nicht riskiert. Auch moderne Eröffnungsbücher erwähnen diesen Zug nicht einmal.

8.Sf3 ist nun ein grober Bock: 8.Sf3 fxe4 9.Lxf6 exd3 10.Lxd8 dxe2 11.Lxc7 Lxf3 12.gxf3 Sc6 13.Kxe2 Sxd4+ 14.Kd3 Sxf3, begangen in Derjabin (2400!) – Ivanova (2260), Mariupol 2003.

8.f3 h6 9.Lh4 De8 10.e5 Sh5 11.Sh3 d6 12.cxd6 cxd6 mit Ausgleich.  (Gergely Toth – Albert Bokros, Paks 2000). Etwas besser war 12…Lxd6, auch das freche 12…Sc6 13.Lf2 e5 14.d5 Sd4 15.Dd1 Lxd6 16.0-0 war möglich.

Abschliessend meine ich, dass die Neuerung 7…c5 einen Versuch wert ist, und es verdient hat, endlich einmal gespielt zu werden.

Zweite Variante

7.f3

Das kam schon bei der Premiere Mason-Tinsley 1899 und ist somit die älteste Falle dieser Eröffnung. Mr. Sam Tinsley fiel darauf herein.

7…fxe4 8.fxe4 Lxc3+ 9.bxc3 Sxe4 10.Dh5+ g6 11.Dg4. Nur noch 11…d5 verlor nicht sofort. 12.Dxe6+ De7 13.Dxe7 Kxe7 14.Sf3 Sxc3 15.0-0 mit schwungvollem Angriff für den Bauern. Noch stärker wäre es, die Damen mit 12.Sf3 zu behalten. 11…Sf6, nun spielte James Mason 12.Dh3 und übersah dabei den Gewinn 12.Lxg6+ hxg6 13.Dxg6+. Nimmt Schwarz nicht, 12…Kf8 13.Lh6+ Ke7 14.Lg5 Df8, so hat Weiss alle Zeit der Welt, um den Angriff fortzusetzen. 15.Se2 Tg8 16.0-0 Txg6 17.Sf4 Txg5 18.Dxg5 Df7 19.Sh5 gewinnt den Sf6 und damit eine Qualität.

13…Ke7 14.La3+ d6 15.Dg7+ und gewinnt.

13…Kf8 14.Sh3 Txh3 15.0-0 Tf3 16.Lg5 Le4 17.Dh6+ Kf7 18.Txf3 Lxf3 19.Tf1 und gewinnt. Für die Galerie gespielt. Es gibt auch prosaische Gewinnwege.

7…c5 ist in dieser Variante nicht so gut, weil nach

8.e5 der Bg2 nicht hängt. 8…Sh5 9.a3 Lxc3+ 10.bxc3 Sc6 11.Le3 0-0 12.f4. 8…cxd4 9.a3 Lc5 10.Sb5 Sh5 11.b4 Le7 12.f4 ist aber immerhin spielbar.

8.d5 0-0 9.Sh3 Te8 10.0-0 Lxc3 11.bxc3 exd5 12.cxd5 Lxd5 13.Lg5 verliert zwar einen Bauern, aber Schwarz liegt mit der Entwicklung hinten. Das ist gut für Weiss.

7…Sc6 ist eine der Erfindungen des Pioniers Igor Lempert, gespielt in Bled 1994 gegen Vladimir Nestorovic. Nestorovic fiel denn auch auf die Falle

8.e5? Sxd4 9.Df2 Sh5 herein. 10.Dxd4 Lc5  verliert die Dame ebenso wie 10.g4 Lc5 11.gxh5 Sxf3+

8.Le3 fxe4 9.fxe4 e5 gehört zum Standard-Werkzeug jedes Englisch-Spielers.  10.d5 Sd4. Das hatte ich bereits in einer Turnierpartie.

11.Dd2, was in besagter Partie kam, ist wegen 11…Sg4 12.Lg5 Le7 13.Lxe7 Dxe7 14.0-0-0 0-0 schwach. In der Partie kam 15.Sh3 c6 mit grossem Positionsvorteil.

11.Dd1 0-0 12.a3 Lc5 13.Sh3 ist auch nicht besser, schon wegen 13…Sc2+ 14.Dxc2 Lxe3. Der Versuch, dem Tausch mit 13.Lg5 auszuweichen, funktioniert wegen 13…h6 14.Lh4 De8 15.Sge2 Sg4 nicht.

11.Lxd4 exd4 12.a3

12…Lxc3 13.bxc3 dxc3 14.e5 0-0 15.Sh3 Se8 16.Dh5 g6 17.Lxg6 hxg6 18.Dxg6+ ist remis, denn 18…Sg7 19.Sg5 würde verlieren. 16.Sf2 gibt Weiss die besseren Aussichten.

12…La5 13.b4 dxc3 14.e5 0-0 15.Sh3 b5! gewinnt jetzt für Schwarz. Z. B. nach 16.0-0-0 Te8 17.bxa5 d6. Daher 15.bxa5, aber da hat schwarz eine neue (notwendige) Keule. 15…Sxd5 16.cxd5 Dh4+ 17.g3 Dd4 18.Sf3 Txf3 19.Dxf3 Lxd5 20.Dxe2 Lxh1. Das sieht aus wie gewonnen, aber 21.0-0-0 droht Damengewinn. 21…Dc5 22.Txh1 Dxa3+ 23.Kb1. Das Endspiel nach 23…Db4+ 24.Ka1 Dxa5 25.Da2+ Dxa2 26.Kxa2 Kf2 wird wahrscheinlich remis. Schwarz kann mit 24…Kh8 25.Da2 Te8 auch auf Gewinn spielen.

De2-Verteidigung mit Schach

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb4+ 4.Sc3 Lb7 5.Ld3 f5 6.Dh5+ g6 7.De2 Sf6

Der Vorteil des Zwischenschachs ist, dass nun f6 und h6 geschwächt sind. Der Nachteil besteht darin, dass Weiss nun dieses Schach schon gegeben hat und es nicht noch einmal geben kann. Auch hier kommen 8.Lg5 und 8.f3 in Betracht welche in etwa gleich viel gespielt wurden.

Erste Variante

8.Lg5

8…fxe4 9.Lxe4. Nun forciert 9…Lxe4 10.Lxf6 Dxf6 11.Dxe4 0-0 12.Sf3 Sc6 13.0-0 Lxc3 14.bxc3. Eine fade Stellung.

9…Sxe4. Janturins Damenopfer ist hier nichts besonderes, obwohl das Damenschach nicht mehr geht, und auch Dg4 nichts mehr angreift. Es kam in einer Partie Yehuda Grünfeld – Eric Prie, Paris 1990 vor. 10.Lxd8 Sxc3 11.bxc3 Lxc3+ 12.Kf1 Lxa1 13.Lxc7 Lxd4. Das ist der Nachteil gegenüber der Ohneschach-Variante, durch die Schwäche des Feldes f6 steht der Läufer dort nicht mehr sicher und weil der Bauer auf g6 steht, hat Weiss den Hebel h2-h4-h5. Hier sollte Weiss mit 14.Ld6 die kurze Rochade verhindern. 14…Sc6 15.Sf3 Lf6 16.h4 Le7 17.Lxe7 Sxe7 18.h5 0-0-0. Schwarz hat Probleme, weil seine Türme schlecht ins Spiel kommen. Grünfeld spielte 14.Sf3. Prie kannte offenbar das Problem und zog sofort 14…Lc5 und glich nach 15.De5 0-0 aus. Statt 15.De5 wäre 15.h4 immer noch ziemlich gefährlich geblieben. Darauf sollte Schwarz nicht rochieren, sondern 15…Tf8 16.h5 g517.Dd3 Lxf3 18.gxf3 Tf5 versuchen, wonach er es voraussichtlich halten kann.

8…De7 ist nun koscher. Nach 9.Lxf6 Dxf6 10.Sf3 Sc6 hat Schwarz den Generalabtausch vermieden und es entsteht eine vernünftige Partie.

9.e5 Lxc3+ 10.bxc3 Da3 und Weiss muss genau spielen. Nach

11.Kf1 Se4 12.Lxe4 fxe4 13.Dc2 kommt er etwas unter Druck, aber er hat mit dem Vormarsch h4-h5 immer genug Ressourcen, da der schwarze König gefährdet ist, weil er nicht lang rochieren kann.

11.Dd2 Lxg2 12.Lxf6 0-0 13.h4 Lxh1 14.h5 Tf7 15.Kg2 hingegen gibt Weiss einen tödlichen Angriff. Richtig ist 12…Tf8 um diesen zu vermeiden. 13.f3 Lxh1 14.Kf2 d6, was sich das Feld d7 verschafft. 15.Se2 Lxf3 16.Kxf3 Sd7 Lh4 17.dxe5 ist nun gut für Schwarz. Besser ist 15.Sh3 Lxf3 16.Kxf3 Sd7 17.Te1 Sxf6 18.exf6 Txf6 19.Sg5 Kd7 20.c5 bxc5 21.Lb5+ c6 22.Sxh7 Tf7 23.d6 Kc7 24.Sg5 cxb5 25.Sxf7 e5 mit Ausgleich.

9.f3 h6 10.Lxf6 Dxf6 11.a3 Lxc3 12.bxc3 c5 13.e5 De7 14.f4 Sc6 15.Sf3 g5 mit schönem Spiel für Schwarz.

9.0-0-0

9…h6 10.Lxf6 Dxf6 11.Sf3 Lxc3 12.bxc3 Sc6 13.Kb2 0-0-0 mit verteilten Chancen.

9…Lxc3 10.e5, denn 10.bxc3 Da3+ 11.Db2 Dxb2+ 12.Kxb2 Sxe4 geht nicht. Nach 10…Lxg2 11.Lxf6 Db4 12.bxc3 Dxc3 13.Dc2 behält Schwarz zwar einen Turm und zwei Bauern für zwei Figuren, aber in dieser geschlossenen Stellung sind die Figuren höher zu bewerten. Schwarz sollte 10…Lxd4 11.Lxf6 Db4 12.Lxh8 Lxg2 13.a3 Db3 14.Dc2 Dxc2+ 15.Lxc2 Lxf2 16.Se2 Lxh1 17.Txh1 Lh4 wählen. Die Bedrohung des Lh8 wird Weiss einen vierten Bauern für die Figur kosten. Der Computer gibt 18.La4 Kf7 19.Td1 c6 20.Td3 Kg8 an.

Zweite Variante

8.f3 Sc6

9.e5? forderte in Adorjan – Spassky, Interzonenturnier Toluca 1982, ein prominentes Opfer. 9…Sxd4 10.Df2 Sh5 11.Dxd4 Lc5 und Weiss gab ein paar Züge später auf.

9.Le3 fxe4 10.fxe4 e5

11.d5 Sd4 12.Lxd4 exd4 13.a3 Lxc3 14.bxc3 dxc3 15.e5 ist jetzt schlecht, weil Schwarz auf einmal auf h5 ein schönes Springerfeld hat: 15…0-0 16.Sf3 [16.exf6 Te8 17.Le4 Dxf6 18.Sf3 Df4] 16…Sh5.

11.Sf3 exd4 12.Sxd4 Se5 13.0-0 0-0 14.Sd5 Lc5 15.Sf3 Lxe3 16.Dxe3 Sfg4 17.De2 Sxf3+ 18.Txf3 Se5 19.Txf8+ Dxf8 ist nun zugunsten von Schwarz. Ich habe in dieser Variante schon Experten mit Schwarz untergehen sehen, insbesondere weil Lxc3 immer ein schwacher Zug ist (das leidige positionelle Denken!). Auch GM Danny King erwischte es, in einer Partie gegen Colin Crouch, Southend Open 2006. Er spielte 13…Lxc3 14.bxc3 0-0 15.Lg5 De7. Jetzt war 16.Tf4  Dd6 schwach, aber King verlor trotzdem. Richtig war 16.Lc2 Dg7 17.c5 bxc5 18.Tab1 cxd4 19.Txb7 mit beträchtlichem Vorteil für Weiss.

In der Mit-Schach-Variante muss Weiss also 8.Lg5 spielen. Dagegen ist mein Trick 8…De7 das angemessene Verfahren, Langeweile zu vermeiden.

Dc2-Verteidigung

1.c4 e6 2.e4 b6 3.d4 Lb7 4.Sc3 Lb4 5.Dc2 Dh4

Diese Zugfolge wurde zum ersten Mal in Josef Dobias – Sonja Graf, Prag 1937 gespielt. Frau Graf war damals hinter Vera Menchik die zweitbeste Schachspielerin der Welt und nahm dem Turniersieger Paul Keres, der mit 10 aus 11 gewann, ein Remis ab.

Es wurden auch andere Züge als 5…Dh4 versucht, aber da dies der Computerzug und mit etwa 65% Gewinnprozenten die weitaus erfolgreichste Variante ist, verzichte ich auf die Analyse anderer Züge. Weiss kann dem Angriff mit 6.d5 und 6.Ld3 begegnen.

Erste Variante

6.d5

6…f5. Die Gewinnprozente  liegen damit schon bei 75% für Schwarz. Es ist absurd zu glauben, dass Weiss nach nur 6 Zügen schon so schlecht stehen soll. Der Grund für diese Quote scheint mir darin zu liegen, dass unvorbereitete Gegner naiv auf Raumvorteil spielten und gegen die heftige Attacke nichts rechtes zustande brachten.

7.Ld3 fxe4 8.Lxe4 Sf6. Nun ist der Läufer angegriffen und 9.Lf3 Dxc4 10.dxe6 Dxe6+11.Le3 Sc6 gibt Weiss nicht einen Hauch von Kompensation für den verlorenen Bauern. Somit 9.Ld3 exd5 10.Sf3 Dg4 11.0-0 dxc4 12.Te1+ Kf8. Nun wird Schwarz nach 13.Le2 wahrscheinlich überleben und einen Bauern mehr behalten. 13.h3 cxd3 14.Db3 Df5 15.Te5 Dg6 16.Dxb4+ d6 [nicht 16…c5? 17.Txc5] 17.Tg5 Df7 18.Se5 De8 19.Sxd3 Sc6 und Weiss kann noch hoffen. 13.Lf5 Dh5 14.Se5 d6 15.Sxc4 Sc6 und jetzt muss er mit 16.Td1 die Drohung Sd4 abwehren, danach steht er schlecht, aber nicht verloren.

7.Ld2 ist ebenfalls nicht geeignet, den Raumvorteil zu konsolidieren. 7…fxe4. Nun wäre 8.Sxe4 exd5 ein Fehler, der immerhin auch von einem Spieler wie Arkadi Rotstein begangen wurde. 7.Sge2 stellt Schwarz vor einen schwierigen Entscheid: Nehen oder nicht nehmen? Der Computer empfiehlt Nehmen. 8.exd5 9.Sxd5 Lxd5 10.Lxb4 e3 11.0-0-0 [11.cxd5 exf2+ nebst Dxb4] 11…Le4 12.Db3 Sc6 13.f3 Sxb4 14.fxe4 De7 15.a3 Sc6 16.Dxe3. Weiss steht nur wenig schlechter.

7.exf5. Das lässt den Dingen ihren Lauf und ist der natürliche Zug.

7…exd5 8.Sf3, auch 8.cxd5 ist ok. 8…De4+ und nun ist der einzige gute Zug 9.Kd1 9…Lxc3 scheitert am Zwischenzug 10.Ld3 Dg4 11.h3 Dxg2 12.De2+ Se7 13.Th2. 9…Dxc2+ 10.Kxc2 mit weissem Vorteil. Dieses Kd1 haben auch starke Spieler nicht gesehen.

6…Lxc3+.

So reagierte Matthew Sadler in einer Amber-Blindpartie in Monaco 1998, nachdem ihm der allwissende Wassily Iwantschuk 6.d5 aufgetischt hatte. Ein paradoxer Zug. Er basiert auf der Erkenntnis, dass nach 6…f5 7.exf5 Lxc3+ 8.Dxc3 der Bg7 hängt. 7.bxc3.

Nun gefällt mir 7…De7 gut, was den Bd5 angreift. 8.Le2 d6 mit einer „normalen“ Stellung.

7…f5 8.exf5 exd5 ist ebenfalls spielbar. 9.cxd5 Lxd5 10.Se2 mit etwas Vorteil für Weiss.

Zweite Variante

(1.d4 e6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb7 4.e4 Lb4 5.Dc3 Dh4)

6.Ld3 

Der beliebteste Zug. Nun ist gegen

6…f5 nichts einzuwenden.

7.g3 kommt hier weitaus am häufigsten. 7.Kf1 wäre eine Neuerung: 7…Sf6 8.e5 Sg4 9.h3 0-0 10.a3 Lxc3 11.bxc3 mit kompliziertem Spiel. Seit Farago-Miles, Hastings 1976, hat sich herumgesprochen, dass hier 7…Dh5 kommen muss.

8.f3. Nach 8…Sc6 9.Sge2! Dxf3 erreichen wir eine Stellung, die ich in Kevins Gambit besprochen habe. Dass die niemandem bekannt ist, erklärt die unglaubliche Gewinnquote von 91% für 8…Sc6. Hingegen ist 8…fxe4 9.Lxe4 Lxe4 10.Dxe4 Sc6 einfach und gut. 8.f3 ist der meist gespielte Zug, was zeigt, wie wenig die Weiss-Spieler von dieser Eröffnung verstehen.

8.Sge2 Sf6 9.0-0 ist eingermassen spielbar. 9…Lxc3 10.Sxc3 fxe4 11.Sxe4 Sc6 12.Dc3.

8.Le2 Df7. 

Hier wurde praktisch durchs Band das schwächliche 9.Lf3 gespielt. 9…fxe4 10.Lxe4 Sc6 11.Sge2 Sf6 und Weiss hat Schwierigkeiten. Nur das unsichtbare 12.Lf3 hält. In Zimmerman-Jamrich, Budapest 1997 kam 12.d5? exd5 13.cxd5 und jetzt hätte 13…Lxc3 14.Sxc3 Sb4 15.Db3 Sxe4 gewonnen.

9.f3 fxe4 10.fxe4 Sf6. Nach 11.d5 0-0 aus Farago-Miles steht Weiss schlecht. Der Rettungsversuch lautet 11.Sf3 Lxe4 12.Dxb3 Sc6 13.0-0 Lxc3 14.Dxc3 0-0 mit etwas Kompensation.

7.g3 ist schlicht schlecht.

7.Sf3

Das ist der korrekte Zug. Der Bock 7…Dg4 8.0-0 Lxc3 9.h3 Dh5 10.bxc3 wurde ebenso oft gespielt wie das korrekte 7…Lxc3+. Damit gewann ich ungezählte Blitz- und Rapidpartien, weil nun meist 7.bxc3? Dg4 8.0-0?? fxe4 9.Se5 Dxg2+ folgte.

8.Dxc3 ist spielbar. 8…Dg4 9.0-0 fxe4 10.Se5 und hier kann 10…Dh4 kommen. 11.Le2 d6 12.Sg4 Sf6 13.Sxf6 Dxf6 14.f3 Sc6 15.Le3 e5 16.d5  Sd4 17.Dd2 Sxe2+ 18.Dxe2  Schwarz muss die ganze Variante äusserst genau spielen, um nicht in Nachteil zu kommen. Auch 10…Df5 11.Lc2 d6 12.Dg3 ist gefährlich. 12…Se7 13.Sf3 0-0 14.Te1 nebst 15.Sg5 dürfte zum Ausgleich reichen.

8.Kf1, unter anderem gespielt in einer Partie Nona Gaprindaschwili – Georg Meier, Bank Hofmann München, 2001 erwies sich als das Stärkste. 8…Dh5 9.bxc3 und nun hatte Meier mit 9…Sf6 10.exf5 Lxf3 11.gxf3 Dxf3? 12.Tg1 kein Glück und kam schnell in eine Verluststellung. Richtig ist das bescheidene 9…fxe4 10.Lxe4 Sc6 11.d5 exd5 12.cxd5 Sa5.

d4-d5 – Verteidigung

1.d4 e6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb7 4.e4 Lb4 5.Ld3 f5 6.d5 

Das ist mit 20% Erfolgsquote einer der erfolglosesten Versuche gegen die Englische Verteidigung. Der Zug ist aber in Ordnung und spielbar.

6…fxe4 7.Lxe4 Dh4 

Thematisch. Allerdings wäre 7…Sf6 8.Lf3 Lxc3+ 9.bxc3 0-0 vorsichtiger, mit bequemem Ausgleich.

Auch an der Premiere dieser Stellung war Miles beteiligt, in Julio Kaplan – Tony Miles, Sao Paulo 1977. Die Partie ging mit 8.De2 Sf6 9.Lf3 0-0 10.dxe6 Sc6 weiter. Ein ausgezeichneter Zug. Weiss steckt bereits in Schwierigkeiten. Auch mit 10…Lxc3+ 11.bxc3 Se4 kommt Schwarz in Vorteil.

8.Dd3 Sf6 9.Lf3 Sa6 verspricht ebenfalls nichts, ebenso wie 7.Lf3 Dxc4.

8.Ld3

Der korrekte Zug, bisher ein einziges Mal gespielt, in Ertl – Aschenbrenner, Wien 2003, allerdings mit der falschen Idee.

8…exd5 9.Sf3

Das ist die richtige Idee, und eine Neuerung. Weiss spielt ein gefährliches Gambit. 9.cxd5, was Ertl zog, verliert nach 9…Lxd5 einfach einen Bauern. 9Sf3 Dh5 10.0-0 dxc4 11.Le2 gibt Weiss bereits ausgezeichnete Kompensation, es droht 12.Sg5.

Erste Variante

9…Dg4

Verlockend.

10.0-0 dxc4

10…Lxc3 11.h3 Dh5 12.bxc3 dxc4 13.Te1+ Se7 14.Lg5 Lxf3 15.Txe7+ Kd8 16.Te3+ Dxg5 17.Dxf3 cxd3? 18.Dxa8

11.Te1+ Se7 12.Le4 Sbc6 13.h3 Dh5 14.Sd5 Lxe1 15.Sxc7+

15…Kd8 16.Se6+ Kc8 17.Dd6 dxe6 18.Dxe6+ Kd8 19.Lg5 und gewinnt.

15…Kf8 16.Dxd7 Lc8 17.Dd1! Tb8 18.Lxc6 Sxc6 19.Dd6+ Kg8 20.Dxc6 La5 21.Sg5 und gewinnt.

Sehr instruktiv. Der Sc3 kann zur tödlichen Waffe werden und muss rechtzeitig geschlagen werden, das geht in dieser Variante leider nicht.

Zweite Variante

9…De7+ 10.Le3 dxc4 11.Lxc4 Lxc3+ 

Ein wichtiger Zwischentausch. 11…Sc6 12.Tc1 und die weissen Angriffs-Aussichten am Damenflügel werden real.

.12.bxc3 Sc6 13.0-0 0-0-0 14.Te1 Df8 15.Sd4 Sge7 16.a4

Schwarz steht solide und hat einen gesunden Bauern mehr, aber völlig harmlos ist der weisse Angriff nicht.

Verfrühte d4-d5-Verteidigung

1.c4 e6 2.e4 b6 3.d4 Lb7 4.Sc3 Lb4 5.d5

Das ist eine für diese Eröffnung untypische Variante, weil nun f7-f5 nicht gut ist. Schwarz probierte hier 12 verschiedene Züge aus. Der überzeugendste scheint mir 5…De7 aus der Stammpartie Xavier Tartakower – Richard Réti, Göteborg 1920. Er greift plump den Be4 an, wegen 6…exd5 7.cxd5 Dxe4+.

6.Le2 wird am meisten gespielt. 6…Sf6 drückt erneut auf e4. 7.Dc2 exd5 8.exd5 c6. Niemals locker lassen, heisst die Devise in der Englischen Angriffs-Verteidigung. Schwarz ist besser aus der Eröffnung heraus gekommen. Hübsch ist  9.dxc6 Lxc6 10.Sf3 Lxf3 11.gxf3, doch objektiv besser ist 9…Sxc6.

6.Le3 ist eine Spur besser. 6…Sf6 7.Ld3 exd5 8.exd5 c6 9.Sge2 cxd5 10.0-0 dxc4 11.Lxc4 ist ein gefährliches Gambit, das Schwarz nach 11…Sc6 12.Lg5 einiges Kopfzerbrechen bereiten wird, aber nach 11.0-0 auszuhalten sein sollte.

6.Ld3 Lxc3+ 7.bxc3 exd5 8.cxd5 mit der Idee 8…Lxd5 9.Sf3 scheitert an 8…f5.

6.Sge2 bleibt übrig. 7…exd5 8.exd5 Sf6 8.Dd4 Lc5 9.Df4 Sa6, ebenfalls mit besseren Aussichten für Schwarz.

5.d5 kann ich nicht empfehlen. Weiss hat besseres zu tun, als einem illusorischen Raumvorteil nachzurennen.

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