Polugajewski-Variante

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb7 4.Dc2

So spielte Lew Polugajewski in der berühmten Stammpartie gegen Viktor Kortschnoi im Kandidatenhalbfinal 1977.

Kortschnoi antwortete mit dem für damalige Verhältnisse unerhörten 4…Dh4?!. Spielt Weiss nun 5.Sc3, so entsteht die klassische Verteidigung mit Dc2. Hingegen entsteht nach 5.d5 f5 6.exf5 exd5 7.cxd5 Lb4+ 8.Sc3 Lxd5 eine für Weiss vorteilhafte Stellung, ähnlich der Iwantschuk-Variante der klassischen Verteidigung. Polugajewski wählte 5.Sd2?! was wegen 5….f5 6.exf5 Sc6  falsch ist, wie Alon Greenfeld gegen Jewgeni Postny in Beersheva 2013 demonstrierte. Kortschnoi seinerseits folgte dem von seinem Sekundanten Keene empfohlenen Pfad, und machte mit 5…Lb4?! seinerseits einen Fehler. Die Polugajewski-Variante 4.Dc2 wird auch heute noch gründlich misshandelt und ihre Theorie müsste komplett neu geschrieben werden, was ich mit diesem Artikel versuche.

Lew Polugajewski – Viktor Kortschnoi
Kandidatenhalbfinal 1977

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb7 4.Dc2

4…Lb4+ bietet den Übergang in die klassische Verteidigung mit 5.Sc3 an. Nach 5.Ld2 Lxd2+ 6.Sxd2 d6 7.Ld3 hat Weiss den unpassenden Zug Dc2 im Vergleich zu 4.Ld3-Varianten verschwendet. Seine Idee ist aber sowieso 5.Sd2

Schwarz sollte hier 5…Dh4 nicht machen. Weshalb, erkläre ich später. Er hat zwei Alternativen.

5…f5 ist korrekt und geschah in Lalic-Kengis, Olympiade Manila 1992. 6.exf5 Sh6 7.a3 Lxd2+ 8.Lxd2 Sxf5 9.Lc3 mit Ausgleich.

5…c5 ist selten einmal gut, hier aber schon. Nach 6.Sf3 cxd4 7.Sxd4 entsteht ein Igel, für den Weiss nicht optimal aufgestellt ist, aber nach 6.d5 hebelt 6…f5 das Zentrum nachhaltig aus. In einer Partie Mikhalevski-Young, Santa Monica 2004, kam 7.a3. Schwarz hätte mit 7…Lxd2+ (statt 7…La5) 8.Lxd2 fxe4 9.Dxe4 Sf6 10.De3 0-0 11.dxe6 Te8 ausgezeichnetes Spiel bekommen. 7.exf5 exd5 8.a3 De7+ 9.Le2 d4 10.Kf1 La5 ist auch gut für Schwarz. 7.f3 Sf6. Das drückt gewaltig aufs Zentrum und droht 8…fxe4 9.fxe4 Sg4. 8.Le2 0-0 9.Sh3 fxe4 10.fxe4 exd5 11.cxd5, nun ist das Opfer 11…Sxd5 schon fast entscheidend.

4…Dh4 ?!

Kortschnois Zug, sieht ganz vernünftig aus. 5.Sc3 leitet nun in die klassische Verteidigung über.

5.d5 möchte zeigen, dass die schwarze Dame ins Abseits gelaufen ist. Wie es aussieht, ist sie das auch. Dieser Zug ist in der gesamten Schachgeschichte nur zweimal vorgekommen. Ein Angriff auf e4 ohne den f-Bauern reicht normalerweise nicht aus. 5…Sf6 6.Sc3 Lb4 7.Ld3 Sa6 8.Sf3 Dh5 9.0–0 0–0 ist spielbar, aber Schwarz hat theoretisch keinen vollen Ausgleich. Kritisch ist wie immer 5…f5 6.exf5  exd5 und jetzt 7.cxd5. 7…Lxd5 8.Sc3 Lb4 9.Ld2 De7+ 10.Sge2 Sf6 11.Sxd5 Sxd5 12.0-0-0 gibt Weiss einen deutlichen Vorteil. 7…Lb4+ 8.Sc3 Sf6 9.Sf3 De4+10.Dxe4+ Sxe4 11.Lxd2 reicht hingegen zum Ausgleich. Daher 8.Ld2, wonach Weiss das bessere Spiel hat.

8…Lxd2+ 9.Sxd2 Lxd5 10.Sgf3 Lxf3 11.Sxf3 Db4+ 12.Dc3 Dxc3+ 13.bxc3

8…De7+ 9. Se2 Sf6 10.Dxc7 Lxd5 11.Lxb4 Dxb4+ 12.Dc3 Sc6 13.Dxb3 Sxb4 14.Sd4

8…Lc5 9.Lc3 Sf6 10.Sf3 Df4 [10…De4+ 11.Dxe4+ Sxe4 12.Lxg7] 11.Le5

Ich habe keinen Weg zum klaren Ausgleich gefunden. Weiss steht besser.

5.Sd2?!

5…f5. Nach 6.g3 Lxe4 7.Da4 Dh5 8.Le2 Dg6 9.Dd1 Sf6 10.Sgf3 hat Schwarz einen Bauern mehr und steht zumindest nicht schlechter. Nach 6.exf5 Sc6 7.Sgf3 Sxd4 8.Sxd4 Dxd4 9.fxe6 0-0-0 stand Weiss in Postny-Greenfeld, Beersheva 2013, auf Verlust.

5…Lb4? 6.Ld3 f5 7.Sgf3 Lxd2+ 

8.Lxd2 kam in 5 Partien vor, wobei nur der Verteidigungskünstler Michael Adams gegen Adrew Webster in Prestwich 1990 überlebte. 8…Dg4 9.Se5 Dxg2 10.0-0-0 fxe4 11.Le2 Sf6. Nun wird in Theoriebüchern 12.Le3 diskutiert, aber 12.Thg1 gewinnt forciert. 12…Dh3 [12…Dxh2 13.Le3 Dh3 ist zäher, verliert nach 14.Txg7] 13.Txg7 Tg8 14.Tdg1 Txg7 15.Txg7 Sc6 16.Lg5. Schwarz muss mit 16…0-0-0 [16…Sxd4 17.Lxf6] 17.Sxc6 Lxc6 18.d5 exd5 19.cxd5 Lxd5 [19…Sxd5 20.La6+Lb7 21.Lxb7+ Kxb7 22.Dxe4; 19…Lb7 20.d6 c6 21.Dc3]  20.Lxf6 Dh6+ 21.Dd2 Dxf6 22.Dxd5 (mit Mattdrohung) eine Figur aufgeben.

8.Kf1 Dh5 9.Lxd2 Sf6 

Polu spielte 10.exf5 statt des besseren 10.e5 und verlor später ein Remis-Turmendspiel.

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