Alte Meister

Der erste Stern am Schachhimmel war Gioachino Greco (1600-1634). Von ihm sind einige gut gespielte Partien überliefert, etwa diese:

Gioachino Greco – NN, ca. 1620
1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.Lc4 Lg4 4.h3 Lh5 5.c3 Sf6 6.d3 Le7 7.Le3 0–0 8.g4 Lg6 9.Sh4 c6 10.Sxg6 hxg6 11.h4 b5 12.Lb3 a5 13.a4 b4 14.h5 gxh5 15.g5 Sg4 16.Txh5 Sxe3 17.Th8+ Kxh8 18.Dh5+ Kg8 19.g6 Te8 20.Dh7+ Kf8 21.Dh8# 1–0

Seine wahre Spielstärke lässt sich nur erraten, da seine Gegner ihm keinen ernsthaften Widerstand entgegen setzten. Folgende Partie lässt vermuten, dass er mit heutigen Massstäben gemessen etwa Meisterstärke hatte.

NN – Gioachino Greco, 1620
1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.c3 Sc6 5.Sf3 Ld7 6.Le3 c4 7.b3 b5 8.a4 a6 9.axb5 axb5 10.Txa8 Dxa8 11.bxc4 dxc4 12.Le2 Sge7 13.0–0 Sd5 14.Ld2 Le7 15.Sg5 Lxg5 16.Lxg5 0–0 17.Lf3 Sa5 18.Lxd5 Dxd5 19.f4 Lc6 20.Dd2 Sb3 21.Dc2 Sxd4 22.cxd4 Dxd4+ 23.Kh1 Le4 24.Dc3 Dc5 25.Sd2 Ld3 26.Tc1 Tc8 27.Sb3 cxb3 28.Dxc5 Txc5 29.Txc5 h6 30.Tc3 b2 31.Tb3 b1D+ 32.Txb1 Lxb1 33.Le7 Kh7 34.g4 Le4+ 35.Kg1 Lf3 36.h3 h5 37.g5 Kg6 38.Kf2 Ld5 39.Ke3 h4 40.Kf2 Kf5 41.Ke3 Lg2 42.Lf8 g6 43.Lb4 Lxh3 44.Le1 Kg4 45.Ld2 Lg2 46.Kf2 h3 47.Lc1 Ld5 48.Kg1 Kg3 49.Le3 h2+ 50.Kf1 h1D+ 0–1

Auch seine Analyse zur Italienischen Partie ist bemerkenswert:

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 Sf6 5.d4 exd4 6.cxd4 Lb4+ 7.Sc3 Sxe4 8.0–0 Sxc3 9.bxc3 Lxc3 10.Db3 Lxa1 11.Lxf7+ Kf8 12.Lg5 Se7 13.Se5 Lxd4 14.Lg6 d5 15.Df3+ Lf5 16.Lxf5 Lxe5 17.Le6+ Lf6 18.Lxf6 Ke8 19.Lxg7 1–0

Sie wurde erst über 200 Jahre später von Möller durch 8…Lxc3 10.d5 usw. ergänzt, das ist der sogenannte Möller-Angriff.

Nach Greco versank die Schachkunst für 200 Jahre ins Nichts. Philidors Partien (um 1790) waren miserabel, jene von und zwischen Labourdonnais und McDonnell (um 1830) grauenhaft. Erst ab 1850 erreichten wieder ein paar Spieler in etwa Meisterstärke, allen voran die deutschsprachigen Adolf Anderssen, Louis Paulsen, Johannes Zukertort und Wilhelm Steinitz. Zunächst einmal wurden sie aber vom Amerikaner Paul Morphy dominiert. Alle ausser Paulsen, der in der Eröffnung meist eigene Wege ging (Paulsen-Variante im Sizilianisch!) waren Theoretiker. Damals war dies noch nicht so schwer, die Theorie bestand im Wesentlichen aus Evans-Gambit und Königsgambit.

Adolf Anderssen – Johannes Hermann Zukertort  
Match in Berlin, 1. Partie, 07.04.1871
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 exd4 7.0–0 dxc3 8.Db3 Df6 9.e5 Dg6 10.Sxc3 Sge7 11.Se2

Das ist die sogenannte kompromittierte Variante. 11.Se2 war der Lieblingszug Anderssens. Er liess ihn erst sein, als er im selben Match damit zwei Partien verlor. Er hielt den Zug für so stark, dass er in einer eigenen Partie mit Schwarz statt 10…Sge7 zu ziehen, mit 10…Lxc3 gegen das Tauschverbot verstiess. Nach 10.Dxc3 Sge7 11.Sg5 Sd8 machte sein Gegner aber dann den schwachen Zug 12.Le3  anstelle des starken 12.Te1. Die Rochade geht gerade wegen Ld3 nicht, wenn er sie mit 12…Dh5 vorbereitet, kommt  das fiese 13.Lb3, was sie wegen 13…0-0 14.Ld1 Dg6 15.Lc2 wieder verhindert und c7 angreift. Weiss steht auf Gewinn.

11.La3 0-0 12.Tad1 ist besser. Die Chancen sind verteilt.

Der folgende Zug ist für die damalige Zeit typisch. Man machte prinzipiell kombinatorische Angriffszüge, positionelle Erwägungen existierten einfach nicht. Zufällig ist er aber auch der korrekte Versuch, um einen Vorteil zu kämpfen.

11…b5 12.Ld3 De6

Anderssen hätte den Bauern nehmen sollen. 13.Dxb5 Tb8 14.Da4, z.B. 14…Sxe5 15.Dxa5 Sxd3 16.Sxf4 mit Ausgleich.

13.Db2

Das zog Anderssen in allen seinen vier Weiss-Partien in diesem Match. Er droht 14.Sf4 Dh6 15.Sg6

13…Sg6 14.Sf4 De7?

Auch auf diesem schwächlichen Zug beharrte Zukertort den ganzen Match über. 14…Sxf4 15.Lxf4 Tb8 war richtig.

Erstaunlich, dass keiner der beiden die kleine Kombination 15.e6! eine Woche lang nicht gesehen hat.

15…fxe6 geht nicht, 15…dxe6 gibt Weiss eine starke Initiative: 16.Lxb5 Ld7 17.Sh5 f6 18.Lh6! Die Hauptvariante lautet 18…gxh6 19.Sxf6+ Kf7 20.Sxd7 Dxd7 21.Tad1 De7 22.Lxc6.

15…Sf4 16.Dxg7 Tf8 17.exd7+

17…Dxd7 18.Lxb5 Se6 19.Df6. Das Opfer ist sehr stark. 19…Tb8 20.Lxc6 Dxc6 21.Se5 und gewinnt.

17…Lxd7 18.Lxf4 f6 19.Dh6 und die Drohung Te1 erzwingt 19…0-0-0 20.Lxb5. Unwahrscheinlich, dass Schwarz das überlebt.

15.Sd5? Dc5? 16.Le4 0–0 17.Le3 Dc4

Ab der zweiten Partie ersetzte Zukertort 15…Dc5 durch 15.De6. Tatsächlich ist er hier in Schwierigkeiten. 18.Sg5 deckt den Läufer und bringt seine Dame in die Bredouille. Noch ist nicht ganz klar, wie Weiss sie fangen will, aber Angriffe auf die Dame werden ihm sicher kombinatorische Möglichkeiten verschaffen. Am besten geht sie freiwillig auf ihr einziges Feld. 18…Da4 19.Lc2 Dh4 20.f4 h6 21.Sxf7, jetzt nicht 21…Kxf7? 22.Db3, ist eine plausible Fortsetzung.

18.Db1?! Lc3?

Irgend etwas prophylaktisches, etwa 18…Te8 oder 18…Da4 wäre am Platz gewesen. Er stellt eine Figur ein, indem er ihn zu 19.Sxc3 zwingen will, was sowieso die falsche Idee ist, weil es nach 19…Dxc3 20.Tc1 Da5 21.Sg5 mit der Idee 22.e6 in einen mörderischen Angriff hinein läuft.

19.Tc1 b4

20.a3, er kann sich drehen und wenden wie er will, der Läufer ist futsch. 20…Da6 21.Ta2 b3 22.Dxb3 Lxe5 23.Lxg6 hxg6 24.Txc6 dxc6 25.Se7+ Kh8 26.Sxe5.

Anderssen fängt jetzt die Dame, aber er vergisst das Holz zu zählen, das er dafür investiert.

20.Sxc7? Tb8 21.Sd2 De2 22.Lf3 Dxe3 23.fxe3 Lxd2

Er sieht ein, dass nichts mehr zu holen ist und trifft einen guten praktischen Entscheid.

24.Sd5 Lxc1 25.Dxc1 Scxe5

Natürlich musste er 26.Le4 spielen, denn das befürchtete 26…f5 gab ihm den Konter 27.Dc7 Tb5 28.a4 bxa3 29.Sc3 Tb8 30.Ld5+

26.Le2 Lb7

Hier war auch 27.Dc5 Tfc8 28.Se7+ Sxe7 29.Dxe5 gut.

27.Dd2 a5 28.Tf1?!

Der Turm musste nach c1. Zukertort revanchiert sich, indem der den falschen Turm nach c8 stellt. Der Bauer f7 brauchte nicht gedeckt zu werden.

28…Tbc8?! 29.Sf4?! [29.Sb6]  29..Tc3 30.Sxg6 Sxg6?!  [30…hxg6] 31.Dxd7 Txe3?!  [31…Lc6] 32.Lc4 Se5 33.Lxf7+ Sxf7 34.Dxb7 Ta3 35.Tf2 b3 36.Dd5 bxa2 37.Txa2 Txa2 38.Dxa2 Te8 39.Dxa5 g5

Das ist tot remis.

40.h3 Te5 41.Dc7 Kg7 42.Kh2 h6 43.Kg3 h5 44.h4 Te3+ 45.Kf2 Te5 46.hxg5 Txg5 47.g3 Kg6 48.Dc2+ Kg7 49.Dc3+ Kg6 50.Dd3+ Kg7 51.Kg2 Se5 [51…Sh4+ nebst 52…Sf5] 52.Dd4 Kh6 53.Df4 Sg6 54.Dd2 h4 55.g4 Se5 56.Kh3 Kg6 57.Dd6+ Kf7??

57…Kg7 58.De7+ Sf7 59.Kh4. Der Turm pendelt zwischen g5 und e5.

58.Kxh4 Txg4+ 59.Kh5 1–0

Der Gehalt der Partie war bis zum verfehlten Damenfang ansprechend, auch wenn einige Kombinationen übersehen wurden. In der folgenden technischen Stellung waren zu viele Züge ungenau. Dass Anderssen das tot remise Endspiel noch weiter spielte und der grobe Fehler Zukertorts am Schluss zeigt, dass ihre Endspieltechnik bescheiden war.

Das Match zwischen Anderssen und Morphy 1858, das Morphy  8:3 gewann, hatte ein schwaches Niveau und war von groben taktischen Versehen Anderssens geprägt. Die neunte Partie halte ich für bemerkenswert.

Paul Morphy – Adolf Anderssen
Paris (9), 1858

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 5.Sb5 d6 6.Lf4 e5 7.Le3

Das geschah auch in der berühmten Partie Fischer-Petrosian, Buenos Aires 1971. Anderssen macht einen für das damalige Verständnis normalen Angriffszug…

7…f5 8.S1c3 f4

…und gleich den nächsten hinterher, ohne sich Gedanken um allfällige Konter zu machen.

9.Sd5 fxe3 10.Sbc7+ Kf7

Eigentlich ein schwieriger Entscheid. Sollte er 11.Sxa8 exf2+ 12.Kxf2 Dh4+ 13.g3 Dxe4 14.Lg2 Df5+ 15.Kg1 Sf6 16.Sac7 Le7 spielen? Ich glaube nicht, dass Morphy lange überlegte, sondern einfach den nächsten, selbstverständlichen Angriffszug machte. Im Nachhinein wäre es der einzig ernsthafte Gewinnversuch.

11.Df3+ Sf6 12.Lc4 Sd4 13.Sxf6+ d5 14.Lxd5+

14…Ke7 war das Einzige.

Nun scheitert 15.Sg8+ Kd6 16.Df7 am Konter 16…Sxc2+ 17.Kf1 e2+ 18.Kxe2 Lg4+ 19.f3 Sd4+ 20.Kd3 Dxc7 21.Dxc7+ Kxc7 22.fxg4 Ld6.

15.Dh5 war erzwungen. 15…gxf6 16.Df7+ Kd6

17.fxe3 Sxc2+ 18.Kd2 Dxc7 19.Dxf6+ Kd7 20.Dxh8 Sxa1 21.Dxf8 Dc2+ 22.Ke1 Dxg2 23.Df7+ Kd6 24.Dc8+ Kc7 25.De7+ und Remis durch ewiges Schach.

17.Sxa8 Sxc2+ 18.Ke2 Sd4+. Das ist nun wirklich Pech in der Stellung.

18.Kxe3 Lh6+ 19.Kd3 Ld7 20.Lc4 mit glänzenden Perspektiven für Schwarz.

18.Kd3 exf2 19.Lc4 f5 erzwingt faktisch das Remis durch 20.Dd5+ Ke7 21.Df7.

Diese Analyse lotet längst nicht alle Möglichkeiten aus. Weiss scheint auf alle Gewinnversuche Remis zu haben. Irgendwie ist es ungerecht, dass Weiss nach den „kranken“ Zügen 7…f5 und 8…f4 nicht forciert gewinnt.

14…Kg6?? 15.Dh5+ Kxf6 16.fxe3 Sxc2+ 17.Ke2 1–0

Die meisten Morphy-Partien sind entgegen der gängigen Lobhudeleien nichts besonderes. Er war eben nur der Beste der Schlechten.

Auch Wilhelm Steinitz war zunächst einer unter vielen. Er verbesserte aber sein Schach im Laufe der Jahre durch seine positionellen Ideen. Er erreichte seine grösste Spielstärke um 1990, als er bereits 55 Jahre alt war.

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