Oscar Panno – Anthony Miles
Clarin Buenos Aires (5), 1979
1.c4 b6 2.Sc3 e6 3.e4 Lb7 4.d4 Lb4 5.f3 f5
Ein verrückter Zug. Selbstverständlich kann man das Gambit ablehnen: 6.Ld3
Das führt nach 6…Dh4+ 7.g3 Dh5 zu Kevins Gambit. Ich bin derjenige, der damit am meisten Erfahrung hat, denn ich habe diese Stellung schon mindestens 200 Mal geblitzt.
Auch 6…Sh6 ist ein guter Zug, für meinen Geschmack aber etwas langweilig.
7.Lxh6 Dh4+ 8.g3 Dxh6 ist schwach. Nach 9.Dd2 Dxd2 10.Kxd2 fxe4 11.Lxe4 d5 steht Schwarz besser. 12.cxd5 exd5 13.Ld3 c5.
Bisher wurde meist 7.Sge2 gespielt. 7…fxe4 8.Lxe4 Lxe4 9.fxe4 0-0 ist unangenehm für Weiss. 8.fxe4 0-0 9.Lf4 und Schwarz sollte mit 9…Sg4 10.0-0 e5 das weisse Zentrum strapazieren.
7.Sh3 ist der korrekte Zug und gleichzeitig eine Neuerung. 7…fxe4 8.Lxe4 Lxe4 und es ist Zeit für den Zwischenzug 9.Lg5 Le7 10.Sxe4 Sf5 11.d5 0-0 12.dxe6 dxe6 13.Dxd8 Lxd8 14.0-0-0 Sc6 mit Ausgleich aber bequemerem Spiel für Weiss.
6.e5 ist die andere Art, abzulehnen. Ich finde, dass man diesem Bauern gleich zu Leibe rücken sollte: 6…d6. Nein, das stellt keineswegs den Lb4 ein, nach 7.Da4+ Sc6 8.d5 exd5 9.cxd5 kommt 9…Dh4+, was Damengewinn durch ein Schach des Lb4 droht, 10.Kd1 Dd4+ 11.Ld3 Lxc3 12.Dxd4 Lxd4 13.dxc6 Lxc6 14.Tc1 Ld7 mit Bauerngewinn. Daher 7.exd6 Lxd6 8.Sh3 De7 mit Ausgleich. Schwarz darf getrost lang rochieren.
6.exf5 Sh6
Auch hier kann Weiss ablehnen:
7.Ld3. Nun sind 7…Sxf5 und 7…c5 kaum schlecht, aber 7…Dh4+ 8.g3 Dxd4 9.Sge2 Df6 sicher am interessantesten. 10.Le4 Lxe4 11.fxe4 Sc6 12.0-0 0-0-0.
7.a3 Ld6 8.Lxh6 Dh4+ 9.g3 Dxh6 10.Lg2 0-0 und es ist fraglich, ob das Bauernopfer gerechtfertigt ist. Im Allgemeinen sollte Schwarz den Trick Lxh6 Dh4+ nebst Dxh6 vermeiden, wenn dadurch der Lf1 nach g2 gelangt. 7…Lxc3+ 8.bxc3 Sxf5 9.Sh3 0-0 ist daher solider.
7.fxe6 Sf5
Die Grundstellung von Miles‘ Gambit. Sie hat über Jahre hinweg die Spieler und Kommentatoren zu allerlei Versuchen, es zu widerlegen oder zu rechtfertigen, inspiriert.
Ein paar wenige Spieler haben sich getraut, mit 8.exd7 Sxd7 9.Lf4 einen zweiten Bauern einzusacken. Mit bescheidenem Erfolg. Das liegt aber eher daran, dass Verteidigen eben schwieriger als Angreifen ist. Der Guru der Englischen Verteidigung, Igor Lempert, hat darauf
9…Dh4+ gewählt, und in einer Partie nach 10.g3 De7+11.Le2? g5 in 16 Zügen gewonnen. Weiss sollte 11.De2 Sxd4 12.Dxe7+ Kxe7 13.Kf2 spielen, mit (kleinen) Aussichten, das Gambit zu widerlegen.
9…0-0 hat den Vorteil, dass nun zusätzlich zu Dh4+ auch noch Te8+ möglich ist.
Nach 10.Sge2 kommt Weiss schwer unter Druck. 10…Dh4+ 11.g3 De7 12.Lg2 Lxc3+ 13.bxc3 Tae8 14.Dd2 Sf6.
10.Dd2 ist der natürliche Zug. 10…Dh4+ 11.g3 De7+ 12.Le2 c5 13.d5 Sd4 14.0-0-0 sieht gut aus für Weiss, obwohl jetzt Schwarz den kräftigen Hebel 14…b5 hat. Schwarz sollte diesen Hebel besser mittels 10…Te8+ anpeilen: 11.Le2 c5 12.d5 Sd4 13.0-0-0 b5. Die Computerbewertung dazu ist 0.00, aber wenn Schwarz für zwei Bauerneinheiten Schuss hat, kann das nur bedeuten, dass die weisse Stellung höchst verdächtig ist.
(1.d4 e6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb4 4.e4 Lb7 5.f3 f5 6.exf5 Sh6 7.fxe6 Sf5)
8.Ld3 ist der Computerfavorit. Tatsächlich scheint das der einzige Zug zu sein, auf den Schwarz nicht so leicht ausgleicht. In einer Partie Gärtner-Sulava, Wien 1996 kam 8…Dh4+ 9.Kf1 Sxd4 und hier nahm Weiss einen Bauern zuviel. 10.exd7+ Sxd7 11.Le4 Lxe4 12.Dxd4 Lxc3 13.bxc3 0–0 14.Dxd7 Kh8 15.g3?? [15.Dd4=] 15…Dh5 16.Lf4 Lxf3 17.Sxf3 Dxf3+ 18.Kg1 Tad8 19.De7 Tde8 20.Da3 Txf4 und Schwarz gewann. 10.Sd5 Lxd5 11.cxd5 wäre trostlos für Schwarz gewesen.
Korrekt ist nach 8.Ld3 Dh4+ 9.Kf1 9…0-0. Nach 10.exd7 wird die schwarze Initiative zu stark. Ich skizziere im Folgenden 4 Gewinnversuche für Weiss.
10.a3 Ld6 11.c5 Le7 12.cxb6 axb6 13.Sb5 Sc6 mit voller Kompensation
10.Sd5 Lxd5 11.cxd5 dxe6 12.dxe6 Sc6 13.a3 Ld6 14.Lxf5 Txf5 15.Dd3 Tf6 ebenfalls mit voller Kompensation.
10.Lxf5 Txf5 11.Sb5 Sc6 im fröhlichen Gambitstil. 12.a3 Le7 13.exd7 Td8 mit voller Kompensation.
10.Sb5 Sc6 11.Lxf5 Txf5 12.exd7 kommt auf das selbe heraus.
8.Lf4 ist der natürliche und meist gespielte Zug. Schwarz steht vor dem Dilemma, ob er e6 nehmen oder mit 0-0 weiter entwickeln soll. Die Frage ist schnell beantwortet. Nach 8…0-0 kommt 9.Dd2, was nach 8…dxe6 nicht geht. 9…dxe6 10.0-0-0 Sc6 11.d5 exd5 12.Dxd5+. Schwarz hat schlicht einen Bauern zuwenig und holte denn auch nur einen halben Punkt aus sieben Partien.
8…dxe6 9.Da4+ Sc6. In einer Partie Inarkiew – Morosewitsch, Poikowski 2015 kam 10.0-0-0 und prompt griff Morosewitsch mit 10…Lxc3 fehl. Nach 10…Sfxd4 11.Le3 e5 12.Ld3 Dd7 hat Schwarz nicht vollen Ausgleich, aber auch keine grösseren Probleme.
Gefährlich ist 10.d5 Lxc3+ 11.bxc3 exd5 12.cxd5 Dxd5 13.Td1, aber Schwarz hat Glück: 13…Dc5 14.De4+ Sfe7 mit Ausgleich.
Zu 8…dxe6 9.Da4+ Sc6 10.0-0-0 Sfxd4 geisterte lange die Sensationsvariante 11.Sb5 0-0 12.Lxc7 Dg5+ 13.f4 Dh6 durch die Fachpresse. Die Variante ist bis anhin noch nie aufs Brett gekommen, denn alle Schwarzspieler machten hier das schwächere 13…Dg6. Die Sensationsvariante geht mit 14.Sxd4 Txf4 15.Lxf4 Dxf4+ 16.Kb1 Sxd4 17.Sf3 Sxf3 18.Dxb4 Le4+ 19.Ka1 Sd4 20.Dd2 Sc2+ mit ewigem Schach weiter.
Anderseits ist auch 11.Sb5 0-0 12.Lxc7 Dg5+ 13.f4 Dg6 nie widerlegt worden. Nach 14.Sxd4 Sxd4 15.Txd4 Lc5 hat Weiss zwar eine Figur mehr, aber g2 hängt. 16.Td3 Tac8 17.Tg3 De4 18.Ld3 De1+ 19.Dd1 Dxd1+ 20.Kxd1 Txc7 reicht nicht für einen Vorteil, aber 16.Se2 Lxd4 17.Sxd4 gibt einen Teil des Materials unter günstigen Umständen zurück Nach 17…De4 18.Sf3 Tac8 19.Le5 Tfd8 20.Lc3 Dxf4+ 21.Ld2 Dg4 22.Da3 hat sich Weiss konsolidiert.
Anstelle von 12.Lxc7 kann Weiss 12.Sxd4 versuchen: 12…Sxd4 13.Se2. Auch hier hat Schwarz eine Remis-Variante: 13…Ld6 14.Txd4 Lxf4 15.Txf4 Txf4 16.Sxf4 Dg5, und jetzt nicht 17.g3 Lxf3 18.Lg2 Lxg2 19.Te1 Lh3, sondern 17.c5 Tf8 18.Kb1 Txf4 19.De8+, aber das reicht auch nur zum Remis.
8.Sge2
Das ist ein vernünftiger Zug. 8…0-0 9.Lf4 dxe6 würde nur Zugumstellung bedeuten.
8…dxe6 9.Lf4 0–0 10.Dd2
Mit 10…La6 will Schwarz 11.b3 provozieren, 11…Sxd4 12.Sxd4 Txf4 13.Sc2 Dxd2+ 14.Kxd2 Le7 mit bequemem Ausgleich. 11.a3 Ld6 12.Lxd6 cxd6 13.0-0-0 Lxc4 14.Sf4 Lb3 15.Te1 Df6 mit Ausgleich.
10…Dh4+
11.g3 Dh5 12.Lg2 Lxf3 13.Lxf3 Dxf3 14.0-0-0 ergibt ein volles Spiel mit guten Aussichten für Weiss. Der Experte Christian Bauer, der ein Buch über diese Eröffnung geschrieben hat, wählte das bessere 11…De7 12.Lg2 Sc6 13.0-0-0 Sa5 14.b3 c5 15.Kb1 in einer Partie gegen Donchenko, Metz 2014. Auch hier folgt er der Computer-Empfehlung 15…b5 mit der Idee 16.cxb5 c4. Nach 16.dxc5?! wäre er mit 16…bxc4 in Vorteil gekommen.
11.Sg3
11…Le7 droht, d4 zu nehmen. Weiss muss das mit 12.0-0-0 zulassen. 12…Sxd4 13.Dxd4 Txf4 mit Ausgleich.
11…Ld6 12.Lxd6 cxd6
Er konnte 13.Df2 versuchen. 13…Sxd4 14.Ld3 e5 15.0-0 mit gesunder Stellung.
13.Sce2 Sc6 14.0–0–0 Scxd4 15.Sxd4 Sxg3 16.hxg3 Dxh1 17.Sxe6 Tf6
Gut gespielt. 18.c5 war nun okay. 18…Dh6 19.Dxh6 Txh6 20.Txd6 Th1 21.Td1 Tc8 22.Lc4 Txd1+ 23.Kxd1 La8 mit Ausgleich. Oder 18.Ld3 Dh2 19.Sg5 h6 20.Le4 ebenfalls mit Ausgleich.
18.Sf4?! Dh6 19.Te1 Dg5 20.Ld3 Taf8?!
Er schiesst ins Nichts. Besser war 20…Tc8. Jetzt droht 21.Te3 22.Se6 und bringt Weiss wieder ins Spiel, z.B. 21…Lc8 22.De1 Ld7 23.b3.
21.Kc2?! Th6 22.Df2 Lc8 23.Le4 Lf5 24.Kb3 Lxe4 25.Txe4
25…b5 öffnet Linien gegen den weissen König und müsste gewinnen.
25…Dc5?! 26.De2 d5?
Sozusagen die Pointe des Fehlers im vorherigen Zug. Miles zockt auf Pannos Zeitnot, was man in besserer Stellung unterlassen sollte, aber er bekommt damit in Extremis doch noch recht.
27.Sxd5 b5 28.Se7+ Kh8 29.cxb5 Td6 30.a4 Dc1 31.Dc4 Db1 32.Td4 Txd4 33.Dxd4 De1 34.Dd6 Te8 35.Sc6 h6
36.Dd7 hielt den Vorteil fest.
36.Sd4? Dd1+ 37.Kb4 Dd2+ 38.Kb3
Nun hat Schwarz remis.
38…Da5??
39.Sf5 gewann. 39…De1 40.g4 und der Vormarsch des b-Bauern, zusammen mit den Mattdrohungen am Königsflügel, entscheidet. Mit seinem nächsten Zug überschreitet er sogar noch die Zeit.
39.Df4 0–1