Zusammenfassung

Sachlichkeit

Sachlichkeit ist die höchste Tugend des Schachspielers. Klar werden mir auch bei grösstmöglicher Objektivität Fehler und Versehen unterlaufen. Ich werde immer wieder Aufgaben vorgesetzt bekommen, die ich mit meinem Schachverstand nicht lösen kann. Sofern ich an der Schwierigkeit der Aufgabe oder an Schachblindheit scheitere, ist das in Ordnung.

In den fünf meiner Partien, die ich Ihnen vorgestellt habe, waren zwei Mal Schachblindheit am Werk, nämlich bei mir bei  Kortschnois letztem Trick, durch Ermüdung begünstigt, und Michael Hochstrassers letztem Fehler unter Zeitdruck.

In den Partien gegen die drei stärkeren Gegner war ich gelegentlich von der Aufgabe überfordert, aber die meisten meiner und ihrer Fehler geschahen aus andern Gründen. Ein nachträgliches Kompliment noch an Michael Hochstrasser, er hat die ganze Partie sehr sachlich gespielt, aber nach seinem Eröffnungsfehler schlechte Karten gehabt. Seine Fehler sind allein der Zeitnot zuzuschreiben. Immerhin entstand diese aus der Schwierigkeit der Aufgabe.

Überforderung sehe ich sonst bei keinem der Fehler meiner Gegner als Ursache.

Unterschätzung

Die wenigsten unterschätzen ihren Gegner von vorneherein, auch wenn sie 300 Elo mehr haben. Es braucht eine zusätzliche Provokation. Ich habe Andras Puskas keineswegs von Anfang an unterschätzt, sondern erst, nachdem ich durch mein starkes Spiel von mir eingenommen war, und er mit seiner provokanten langen Rochade Öl ins Feuer goss. Ebenso vermute ich, dass sich Kortschnoi durch meine etwas ungewöhnliche Eröffnung provoziert fühlte und mir zeigen wollte, dass man gegen ihn nicht solches Zeug spielen konnte.

Allgemeine Erwägungen

André Wespi ist seinen allgemeinen Erwägungen zum Opfer gefallen. Er hatte eine Variante richtig berechnet und aus allgemeinen Erwägungen dann etwas gespielt, das er sich überhaupt nicht angesehen hatte. Vjekoslav Vulević spielte unter seinen Verhältnissen, nachdem ich mir den Angriffsläufer einfach so abtauschen liess. Viktor Kortschnoi glaubte offenbar den weit verbreiteten Irrtum, dass man dem Nilpferd mit f2-f4 zuleibe rücken müsste. Bei einigen meiner Fehler war eher Zaghaftigkeit der Auslöser der „Erwägungen“.

Zaghaftigkeit

Bei allen meinen „Spatzen in der Hand“ war Zaghaftigkeit im Spiel. Ich war früher ein sehr sicherer Spieler und machte kaum grobe Versehen. Zaghaftigkeit ist erst aufgetreten, nachdem ich in den letzten Jahren sehr viel eingestellt hatte. Seither pflege ich meinen Berechnungen zu misstrauen und wittere überall „Löcher“. Es erschreckt mich selber, wie oft ich aus lauter Schiss, dass „es“ ein Loch haben könnte, den zweitbesten Zug mache. Es tröstet mich zu sehen, wie auch sehr starke Spieler aus Zaghaftigkeit Gewinnstellungen versieben.

Impulsivität

Mit Viktor Kortschnoi verbindet mich einer meiner grössten Fehler. Impulsiv waren mein Lg5 bei Puskas, mein Th7 nebst Sxe6 bei Vulević und der Riesenbock am Schluss gegen Hochstrasser. Alle gröberen Fehler Kortschnois waren impulsiv gespielt, ebenso Vulević’s Verlustzug Dc7.

Opferschock

Ich selber bin nie dem Opferschock erlegen. Ich habe solche Angst vor Opfern, dass ich sie von Weitem rieche, und sie treffen mich nie unvorbereitet. Seit ich mein Spiel auf „kompromisslos“ umgestellt habe, konnte ich bei meinen Gegnern mehrmals feststellen, dass sie nach einem Opfer die Fassung verloren, und unglaubliche Fehler machten.

Erleichterung

Mein liebster Blitz-Trick ist es, mitten in einer starken Initiative a tempo einen Zug zu machen, der überhaupt nichts droht. Das bringt mir erstens immer viel Zeit zum selber überlegen, und zweitens kommt dann meistens nach langem Studieren ein ziemlich schwacher Zug. Es ist sehr schwer, damit umzugehen, dass auf einmal aller Druck weg ist, schachlich wie psychologisch. Genau das ist André Wespi passiert, wenn auch ohne Absicht meinerseits.

Depression

Niedergeschlagenheit tritt meistens nach übersehenen Zügen ein. Vesko Vulević schien nach dem übersehenen Springeropfer alles Interesse an der Partie verloren zu haben, und er übersah seine einfachsten Ressourcen. Ich selber bin nach einem schwachen Zug in schlechter Stellung kaum wiederzuerkennen und mache Fehler auf Fehler. Zähe Spieler sind weit herum bekannt, weil „Normale“ auf einen Fehler den nächsten folgen lassen, sie aber auf einmal immer die besten Züge machen.

Fazit

Ich sehe ein, dass Emotionen der Qualität meiner Züge, gelinde gesagt, abträglich sind. Gefühle zu unterdrücken ist unmöglich. Es wird immer etwas passieren, das mein Blut in Wallung bringt, auch wenn ich mir vorgenommen habe, mit sokratischer Gelassenheit am Brett zu sitzen.

Die einzige Chance, die ich habe, ist dann, meinen Geist mit nützlicheren Dingen als Dünkel, Angst, Besserwissen, Stolz, Grimm, Entspannung oder Verzweiflung zu beschäftigen.

Ich habe mit keine Pläne! ein Rezept entwickelt, wie ich die korrekten Züge mit einiger Treffgenauigkeit erraten kann, ganz ähnlich, wie ein Pokerspieler seine Emotionen hinter die Pot Odds zurückstellt. Nämlich das Entdecken der härtesten Drohung. Ich habe festgestellt, dass ich auch in den verworrensten Situationen einigermassen nüchtern bleibe, und mich auf meine Aufgabe konzentriere. Vor allem sind impulsive Züge meinerseits seither ausgeblieben, da es immer irgendwelche Alternativen zu vergleichen gilt.

 

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