Sosin

In seinem letzen Banter-Blitz hatte Peter Svidler eine seltene Eröffnung auf dem Brett. Er merkte an, dass er einen Einfall hatte, als er überlegte, warum niemand den Sosin spielt. „Vielleicht, so dachte ich, ist der Grund dafür, dass der Sosin einfach schrecklich unterrepräsentiert ist und es in der Tat eine wunderbare Eröffnung ist, die Weiß einen großen Vorteil verschafft. Also analysieren wir es doch mit einer guten Engine. Etwa anderthalb Stunden später habe ich das Projekt abgebrochen. Weil Sosin aus einem offensichtlicheren Grund schrecklich unterrepräsentiert ist. Es ist einfach nicht sehr gut.“

Die Partie finden Sie unter Banter Blitz with GM Peter Svidler, ab Minute 56. Sie verlief so: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.Lb3 Sbd7 8.f4 Sc5 9.e5 Sfd7 10.exd6 Sf6 11.De2 Lxd6 12.Le3 Dc7 13.f5 O-O 14.fxe6 Sxb3 15.axb3 Lxe6 16.Sxe6 fxe6 usw.

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4

Svidler merkt im Verlauf der Partie an, dass es zwei Züge gibt, die auf Bobby Fischer zurückgehen, nämlich 6.h3 und 6.Lc4. Und, dass man argumentieren könnte, dass 6.h3 besser als 6.Lc4 ist, weil man mit dem Letzteren zwei Tempi vergeudet um einen Läufer nach b3 zu stellen, welcher dann in vielen Varianten durch Sd7-Sc5-Sxb3 abgetauscht wird.

6…e6 7.Lb3

Das ist Fischers Zug, und nach wie vor der beliebteste an dieser Stelle. Meiner Ansicht nach ist dieser Zug einfach falsch, und in der Tat ein Tempoverlust.

Die Alternative 7.a4, was die schwarzen Expansionsgelüste und auch den Abtausch des Läufers verhindert, halte ich nicht für gut. Weiss nimmt sich selber die lange Rochade aus dem Spiel und schwächt die dunklen Felder.

7.a3 ist beliebter, ebenfalls mit dem Ziel, den Abtausch des Läufers zu verhindern, ihn nach a2 zurückzuziehen und b5-b4 zu stoppen. Tatsächlich kann eine Eröffnung, in der nach sechs Zügen solch ein langsamer Zug sinnvoll ist, nicht besonders attraktiv sein.

Es gibt zwei Alternativen, 7.O-O und 7.Le3, beide mit einem Bauernopfer verbunden. Zu diesem Thema merkt Svidler an, dass die Spieler zu Fischers Zeiten den e-Bauern bedenkenlos gefressen haben, und dem Weissen damit wundervolle offene Linien und Diagonalen geschenkt haben. Aber, resümiert er, habe das Schach in den letzten 50 Jahren eben enorme Fortschritte gemacht, und keiner mehr würde so spielen. Vergleichen wir diese beiden Alternativen:

7.O-O ist im Vergleich zu 7.Le3 ‚logischer‘, da dieser Zug sowieso kommen muss, während die Idee von 7.Le3 nicht ersichtlich ist. Die Rochade wird denn auch fünfmal öfter gespielt als 7.Le3. Taktisch sieht es so aus, dass Schwarz nach 7.O-O b5 8.Lb3 b4 9.Sa4 Sxe4 10.Te1 auf Verlust steht, was sich auch in der 80%-Gewinnquote für Weiss niederschlägt. Die Hauptvariante lautet 7.O-O b5 8.Lb3 Le7 9.Df3. Danach sind 9…Db6 und 9…Dc7 ungefähr gleich beliebt.

Die Hauptvariante für 9…Db6 ist 10.Le3 Db7 11.Dg3 O-O 12.Lh6 Se8, jene zu 9…Dc7 analog dazu 10.Dg3 O-O 11.Lh6 Se8.

Die taktische Begründung von 7.Le3 sieht so aus: 7…b5 8.Lb3 b4 9.Sa4 Sxe4 10.O-O, wonach Schwarz nicht auf Verlust steht, aber angesichts des weissen Entwicklungsvorsprungs zumindest schlechte Karten hat. Die kritische Variante lautet 7.Le3 b5 8.Lb3 Le7 9.O-O O-O 10.f4. Von dieser Stellung ist Stockfish nicht gerade begeistert, um es milde auszudrücken. Auch die Statistik spricht mit 47% Erfolgsquote dagegen. Diese Stellung kommt nur in etwa 6% meiner Blitzpartien vor. Meine persönliche Erfolgsquote aus 40 Blitzpartien liegt bei 54%. Es würde zu weit führen, diese Stellung hier zu rechtfertigen, und seitens Weiss ist dafür ein riesiges Repertoire an konkreten Varianten notwendig. Ich habe vor ein paar Jahren einen langen Artikel über diese so genante Konikowski-Variante 7.Le3 geschrieben. Die angegebenen Varianten dürften daher Stockfish 11 an manchen Stellen nicht mehr standhalten. Übrigens, ich habe mit 7.Le3 in über 600 Blitzpartien 70% der Punkte gemacht. Was allerdings wenig heisst, denn ich spiele ja meist gegen schwächere Gegner. Präziser müsste ich sagen, dass diese Prozentzahl einfach das gegenseitige Stärkeverhältnis dokumentiert.

7…Sbd7 8.f4 Sc5

Bekannt aus der Weltmeisterschaft Short-Kasparow 1993. Ich denke, dass Svidler schon recht hat, das ist nicht besonders gut. Laut Stockfish ist es komplett ausgeglichen. Short probierte hier alle drei Alternativen 9.f5, 9.Df3 und 9.e5 aus. Hier nochmal die Sensationspartie aus diesem Wettkampf: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.Lb3 Sbd7 8.f4 Sc5 9.e5 dxe5 10.fxe5 Sfd7 11.Lf4 b5 12.Dg4 h5 13.Dg3 h4 14.Dg4 g5 15.O-O-O De7 16.Sc6 Sxb3+ 17.axb3 Dc5 18.Se4 Dxc6 19.Lxg5 Lb7 20.Td6 Lxd6 21.Sxd6+ Kf8 22.Tf1 Sxe5 23.Dxe6 Dd5 24.Txf7+ Sxf7 25.Le7+ Kg7 26.Df6+ Kh7 27.Sxf7 Dh5 28.Sg5+ Kg8 29.De6+ Kg7 30.Df6+ Kg8 31.De6+ Kg7 32.Lf6+ Kh6 33.Sf7+ Kh7 34.Sg5+ Kh6 35.Lxh8+ Dg6 36.Sf7+ Kh7 37.De7 Dxg2 38.Le5 Df1+ 39.Kd2 Df2+ 40.Kd3 Df3+ 41.Kd2 Df2+ 1/2-1/2. Short spielte nach Kasparows Schnitzer 15…De7 fantastisch und stand haushoch auf Gewinn, vermasselte es aber mit seinem 23. Zug.

9.e5?! Sfd7

Die Verstärkung im Vergleich zu Short-Kasparow. Objektiv steht Weiss in beiden Varianten schlecht.

10.exd6 Sf6 11.De2 Lxd6 12.Le3?!

In allen Vorgängerpartien kam hier 12.Sf5 O-O 13.Sxd6 Dxd6, womit Weiss die Stellung halbwegs beieinander hält.

12…Dc7?!

Erlaubt 13.Sf5, etwa 13…exf5 14.Lxc5+ Le6 15.Lxe6 O-O mit Ausgleich. Nach 12…O-O hätte Weiss nichts mehr zu bestellen gehabt.

13.f5

Hier werweisste Svidler lange an 13…e5 und hatte Bedenken, dass er möglicherweise auf Verlust steht.

13…O-O 14.fxe6 Sxb3?! 15.axb3 Lxe6 16.Sxe6 fxe6 17.O-O-O mit Totalausgleich.