Dieter Keller

Jeder Turnierspieler hat eine Code-Nummer, bei der FIDE und beim jeweiligen Landesverband. Die Codenummer 1 der Schweiz gehört Dieter Keller, weil er anfangs der 70-er Jahre, als auf Elo umgestellt wurde, die Nr. 1 der Schweizer Führungsliste war. Ich selber habe die Nr. 47 und bin damit einer der wenigen Überlebenden der damaligen Top 50, von denen eigentlich nur noch Werner Hug (2460 Elo) aktiv ist.

Jefim Geller – Dieter Keller
Olympiade Moskau 1956
1.c4 Sf6 2.Sc3 c5 3.g3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.Lg2 Sc7 6.d3 Sc6 7.Lxc6+ bxc6 8.Da4 Ld7 9.Sf3 f6 10.Le3 e5 11.Se4 Se6 12.Tc1 Db6 13.O-O Dxb2 14.Tb1 Dxe2 15.Kg2 Sd8 16.Sed2 Dxd3 17.Tfd1 Le6 18.Da5 c4 19.Sf1 Da3 20.Dc7 Tc8 21.Dxa7 Dxa7 22.Lxa7 c3 23.Tbc1 Lb4 24.a3 Lxa3 25.Txc3 Lb4 26.Tcc1 Sf7 27.Lc5 Lxc5 28.Txc5 Ke7 29.Tdc1 Ld5 30.Se3 Le4 31.h4 g5 32.T1c4 Sd6 33.hxg5 Sxc4 34.gxf6+ Kxf6 35.Txc4 Ld5 36.Tc3 Ke6 37.Sg4 Lxf3+ 38.Kxf3 Kd5 39.Td3+ Kc4 40.Sxe5+ Kb4 41.Td4+ Kb5 42.Td1 c5 43.Tb1+ Ka4 44.Ke3 Thd8 45.Sc4 Tb8 46.Sb6+ Ka3 47.Sc4+ Ka2 48.Tc1 Tb1 49.Txb1 Kxb1 50.f4 Kc2 51.f5 Td3+ 52.Kf2 Kc3 53.Sb6 c4 54.Ke2 Td8 55.Sa4+ Kb4 56.Sb2 Kb3 57.Sd1 c3 58.Se3 Te8 0-1

1.c4 Sf6 2.Sc3 c5 3.g3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.Lg2 Sc7 6.d3 Sc6

Dieter Keller war zum Zeitpunkt der Partie 20 Jahre alt. Ein Jahr zuvor wurde er 6. der Jugendweltmeisterschaft in Antwerpen und schlug dabei als einziger den nachmaligen Weltmeister Oscar Panno. 1959 sollte er in Zürich gegen Michael Tal eine der berühmtesten Schachpartien der Schachgeschichte spielen. Am selben Turnier gewann er gegen Bobby Fischer mit Schwarz in einer Spanischen Partie.

Mit diesem Zug provoziert er Geller dazu, auf c6 zu schlagen. Das war damals ein heiss diskutiertes strategisches Thema. Sollte das Läuferpaar als Kompensation für einen isolierten Doppelbauern in einer offenen Turmlinie ausreichen?

7.Lxc6+ bxc6 8.Da4 Ld7 9.Sf3 f6 10.Le3 e5

Es stellt sich heraus, dass zum Läuferpaar ein starkes Zentrum hinzu kommt.

11.Se4 Se6 12.Tc1 Db6 13.O-O

13…Sfd2 hätte 14.Dxb2 verhindert. Keller lässt sich nicht zweimal bitten.

13…Dxb2 14.Tb1?!

Jetzt übertreibt er aber. Wenn er die Damen nicht tauschen wollte, musste er 14.Sfd2 Db5 15.Dd1 versuchen.

14…Dxe2 15.Kg2

Droht die Dame zu fangen, z.B. 15…Le7? 16.Tfe1 Dxd3 17.Ted1 De2 18.Td2

15…Sd8

Ein hübscher Trick, auf 16.Tfe1 kommt 16…Lh3+.

16.Sed2??

Ein unglaublich schwacher Zug.

16.Lxc5 Lxc5 17.Sxc5 Lh3+ 18.Kxh3 Dxf3 war erzwungen. Auf etwa 19.Dc4 kommt 19…Dd5. Weiss hat Kompensation für den Bauern.

16…Dxd3

Er brauchte nur alle Bauern einzusammeln, die ihm sein Gegner anbot. Geller wehrte sich noch ausdauernd, aber vergeblich.

Die Partie ist insofern historisch, als es die einzige war, die die Sowjetunion an der Olympiade 1956 verlor.

17.Tfd1 Le6 18.Da5 c4 19.Sf1 Da3 20.Dc7 Tc8 21.Dxa7 Dxa7 22.Lxa7 c3 23.Tbc1 Lb4 24.a3 Lxa3 25.Txc3 Lb4 26.Tcc1 Sf7 27.Lc5 Lxc5 28.Txc5 Ke7 29.Tdc1 Ld5 30.Se3 Le4 31.h4 g5 32.T1c4 Sd6 33.hxg5 Sxc4 34.gxf6+ Kxf6 35.Txc4 Ld5 36.Tc3 Ke6 37.Sg4 Lxf3+ 38.Kxf3 Kd5 39.Td3+ Kc4 40.Sxe5+ Kb4 41.Td4+ Kb5 42.Td1 c5 43.Tb1+ Ka4 44.Ke3 Thd8 45.Sc4 Tb8 46.Sb6+ Ka3 47.Sc4+ Ka2 48.Tc1 Tb1 49.Txb1 Kxb1 50.f4 Kc2 51.f5 Td3+ 52.Kf2 Kc3 53.Sb6 c4 54.Ke2 Td8 55.Sa4+ Kb4 56.Sb2 Kb3 57.Sd1 c3 58.Se3 Te8 0-1

Michael Tal – Dieter Keller
Zürich 1959
1.Sf3 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 d5 4.d4 c6 5.Lg5 dxc4 6.e4 b5 7.a4 Db6 8.Lxf6 gxf6 9.Le2 a6 10.O-O Lb7 11.d5 cxd5 12.exd5 b4 13.a5 Dc7 14.dxe6 bxc3 15.Sd4 Tg8 16.Da4+ Kd8 17.g3 Ld5 18.Tfd1 Kc8 19.bxc3 Lc5 20.e7 Sc6 21.Lg4+ Kb7 22.Sb5 De5 23.Te1 Le4 24.Tab1 Txg4 25.Txe4 Dxe4 26.Sd6+ Kc7 27.Sxe4 Txe4 28.Dd1 Te5 29.Tb7+ Kxb7 30.Dd7+ Kb8 31.e8=D+ Txe8 32.Dxe8+ Kb7 33.Dd7+ Kb8 34.Dxc6 1-0

1.Sf3 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 d5 4.d4 c6 5.Lg5 dxc4 6.e4 b5 7.a4

Tals Patent in der Botwinnik-Variante.

7…Db6 8.Lxf6 gxf6 9.Le2 a6 10.O-O Lb7 11.d5

Der Tanz geht los. Die kritische Variante ist 11…Sd7 12.dxe6 fxe6 13.a5 Dc7 14.Sd4 Ke7 15.Dd2.

11…cxd5 12.exd5 b4?

Ein Fragezeichen, aber erst nach neuesten Erkenntnissen. Er zwingt Tal, zu opfern.

13.a5 Dc7 14.dxe6

Noch um 2010 herum hielten die Computer dieses Opfer für unkorrekt, mit Bewertungen so um die -3 herum. Stockfish 11 hält es für den Gewinnzug.

14…bxc3 15.Sd4 Tg8 16.Da4+ Kd8 17.g3 Ld5 18.Tfd1?

Bisher war alles perfekt gespielt. 18.Tad1 gewinnt. Z.B. 18…cxb2 19.Lf3 b1=D 20.Txb1 Lxf3 21.Sxf3

18…Kc8??

Mit 18…cxb2 19.Tab1 c3 konnte Schwarz die Stellung halten. Etwa
20.exf7 Dxf7 21.Lc4 Tg5 22.Db3 Sd7 23.Sc6+ Kc7 24.Lxd5 Txd5 25.Txd5 Dxd5 26.Dxd5 c2 27.Td1 cxd1=D+ 28.Dxd1 Kxc6 29.Dc2+ Lc5 30.Dxb2.
Oder 20.Lf3 Tg5 21.h4 Te5 22.exf7 Dd7 23.Dc2 Lxf3 24.Sxf3 Td5 25.Txd5 Dxd5 26.Td1 Dxd1+ 27.Dxd1+ Sd7 28.Sd4 Tc8 29.Kh2 Tc4 30.Se6+ Ke7 31.Sxf8 Sxf8 32.De2+ Se6 33.f8=D+ Kxf8 34.Dxc4 b1=D 35.Dxe6.

Ich habe die Partie 2010 und 2016 des langen und breiten kommentiert, siehe Partie Nr. 6. Jedes Mal, so auch heute, kommen völlig unterschiedliche Computervarianten heraus.

19.bxc3??

19.De8+ Kb7 20.bxc3 Ka7 21.Lf3 Lxf3 22.exf7 gewann primitiv. Jetzt wird es wieder spannend.

19…Lc5 20.e7

Auch 20.Lxc4 fxe6 21.Lxd5 exd5 22.c4 Lxd4 23.Txd4 Sc6 24.Txd5 Td8 sollte Schwarz halten können.

20….Sc6?!

Er hätte den Bauern fressen sollen, egal, ob mit der Dame oder dem Läufer.

21.Lg4+

Nur der zweitbeste. 21.Sf5 De5 22.Lxc4 Lxf2+ 23.Kf1 Dxf5 24.e8=D+ Kc7 25.Daxc6+ Lxc6 26.Dxf7+ Ld7 27.Dxd7+ Dxd7 28.Txd7+ Kxd7 29.Lxg8 Txg8 30.Kxf2 ergab ein leicht besseres Turmendspiel. Diese Variante halte ich für den Höhepunkt der Partie.

21…Kb7 22.Sb5??

Weiss hatte viele vernünftige Züge. 22.Sb3, 22.Sf5, 22.Sxc6, 22.Tb1+.

22…De5 23.Te1 Le4??

23…Dg5 gewann. 24.Ted1 Tae8 25.Tab1 Txe7 26.Txd5 Dxd5 27.Sd4+ Kc7 28.Lf3 Te4.

24.Tab1 Txg4 25.Txe4 Dxe4 26.Sd6+ Kc7 27.Sxe4 Txe4 28.Dd1 Te5??

Nach 28…Lxe7 wird es remis.

29.Tb7+ Kxb7 30.Dd7+ Kb8 31.e8=D+ Txe8 32.Dxe8+ Kb7 33.Dd7+ Kb8 34.Dxc6 1-0

Ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob mit den Stockfish-11-Varianten bereits alles über die Partie gesagt ist. Eine Leela-Analyse kann ich nicht machen, mein Computer gibt das nicht her.

Bleibt die Frage, ob es Kriterien oder Denkmuster gibt, die korrekten Züge auch ohne Computer zu finden, und richtig einzuschätzen. In ‚Berechnung im Schach‘ habe ich mich dem Thema angenähert. Deshalb der Untertitel ‚ein Versuch‘. Oder ‚an approach‘ in der Englischen Version. Ich denke schon, dass sich die Theorie der Initiative verfeinern lässt.

Allerdings gibt es im Schach zwei Sorten Stellungen, diejenigen, die objektiv in der Remiszone, und diejenigen, die objektiv entschieden sind. Meine Ideen funktionieren in Gewinnstellungen bestens, aber in ausgeglichenen Stellungen ist es nicht klar, wie man sie angehen sollte. Ich denke, dass dort das Prinzip der schwierigsten Aufgabe gelten muss. Dazu tragen Computer wenig bei, für die ist nix schwierig. In dieser Partie ist die Schwierigkeit der Aufgabe offensichtlich und wird durch die Häufigkeit entscheidender Fehler eindrücklich dokumentiert. Diese Fehler kamen ungefähr gleich oft in gewonnenen wie in ausgeglichenen Stellungen vor. Das mag daran liegen, dass es in den gewonnenen Stellungen keine Abwicklungen in technische Gewinnstellungen gab, was ansonsten ein übliches Verfahren ist.