Tobias Hirneise (1851) – Johann Windhofer (1822)
Schwarzbach Open 2003
1800 Elo sind für junge Schachspieler meist eine Durchgangsstation. Tobias Hirneise war zum Zeitpunkt der Partie 14 Jahre alt, heute ist er IM. Sein Gegner hat jetzt, gut 10 Jahre später, 1899 Elo. Bei ihm scheint es sich um einen „echten“ 1800-er zu handeln.
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Lc4 d6
Bei Hirneise können wir davon ausgehen, dass bereits reichlich Buchwissen da ist. Sein Gegner kennt die Eröffnungstheorie bestimmt nur vom Hörensagen, und versucht der Theorie nach 4…Sf6 oder 4…Lc5 auszuweichen. Er wählt einen „vernünftigen Entwicklungszug“.
Hier bringt das Gambit 5.c3 wegen 5…Sf6 kaum etwas. Zurückschlagen ist natürlich und gut.
5.Sxd4 Ld7
Ein typischer 1800-er Zug. Er vermeidet den Doppelbauern. Korrekt war 5….Sf6 6.Sc3 Le7. Solches war zu Capablancas und Laskers Zeit gang und gäbe.
6.0-0 Sf6 7.f4
Er möchte den passiven schwarzen Aufbau bestrafen. 7…Sxe4 8.Te1 f5 9.Sc3, er gewinnt den Bauern zurück und steht schon fast auf Gewinn.
Der Zug ist verfrüht. Nach 7…Le7 8.Sc3 0-0 ist keine Angriffsfortsetzung in Sicht. Weiss kann mit 9.Sf3 einen kleinen Vorteil behaupten.
Schwarz fühlt sich bedrängt und verstösst in einer Art Panikreaktion gegen das Tauschverbot.
7…Sxd4?! 8.Dxd4
Das hatte böse Folgen, denn nun kommt auf 9…Le7 bereits 10.e5, wonach er auf Verlust steht. Aber wie will er noch rochieren, wenn Le7 nicht geht?
8…Lc6 9.Sc3 b6?
Er hat das unmittelbare e4-e5 vermieden, aber statt mit 9…Le7 die Rochade anzustreben, versucht er einen faulen Trick, der nicht einmal etwas droht, denn 10…d5 mit der Idee 11…Lc5 ginge wegen 11.De5+ nicht. Dabei übersieht er, dass 10.Lxf7+ Kxf7 11.Dc4+ d5 12.Dxc6 Lc5+13.Kh1 einen Bauern verliert. Immerhin hätte er dann ein wenig Gegenspiel.
Weiss kann auch mit 10.Te1 abwarten, um erst nach 10…Le7 mit 11…Lxf7+ zuzuschlagen. In diesem Fall sollte Schwarz mit 10…Dd7 den Läufer decken und auf bessere Zeiten hoffen.
10.Sd5 Le7
Wieder wäre 11.Sxf6+ Lxf6 12.Lxf7+ Kxf7 13.Dc4+ d5 14.Dxc6 angebracht, diesmal aber mit einem völlig gesunden Mehrbauern, ohne Gegenspiel.
Er „sichert sich das Läuferpaar“.
11.Sxe7? Dxe7 12.e5
Auf einmal hing e4, es gab nichts besseres. 12…dxe5 war nun notwendig: 13.fxe5 Td8.
Jetzt geht 14.exf6 Txd4 15.fxe7 Txc4 nicht.
Mit 14.Df4 Sd5 15.Dg3 Dc5+16.Df2 konnte er wenigstens den Vorteil des Läuferpaars behaupten.
Methodisch wäre 14.Df2 gewesen. 14…Dxe5 15.Lf4 De7 16.Lg5 0-0 ist erzwungen. 17.Tae1. Er wird mit Lxf6 den Königsflügel schwächen. Schwarz kann methodisch fortsetzen: 17…Db4 18.Lxf6 Td2 19.Te2 Txe2 20.Dxe2 gxf6. Damit geht die Initiative wieder an Weiss über. 21.Dg4+ Kh8 22.Dd4 De7 23.Txf6. Nun ist wieder Schwarz kurzfristig am Drücker: 23…De4 24.Tf4+ Dxd4 25.Txd4. Das Endspiel steht etwas besser für Weiss.
Das ist eine Mustervariante. In solchen beinahe ausgeglichenen Stellungen gibt es nie nur eine einzige Alternative. Typisch sind die Übergänge der Initiative nach Materialgewinnen. Weiss muss genau spielen, um seinen Minivorteil zu behalten, Schwarz ebenso genau, um nicht in einen Mattangriff zu geraten.
13…Sg4?
Gegen 13.h3 sprach nichts.
13…Sh6 14.exd6 Dxd6 15.Te1+ oder 14…exd6 15.f5
13…dxe5 war vielleicht sein Problem, aber das verliert. 14.fxe5 Sxe5 15.Lf4 f6 16.Lxe5 fxe5 17.Dg4. Der in der Mitte stecken gebliebene König wird in ein paar Zügen erlegt.
13.exd6?? Dh4 14.d7+ Kd8
15.h3 Dg3 16.Tf2 verliert die Qualität, aber alles andere ist noch schlechter.
15.Td1? Dxh2+ 16.Kf1
Gewinnstellungen zu gewinnen ist oft gar nicht so einfach. 16…Lxg2+ 17.Ke1 c5 18.Dc3, 19…Dg3+ darf nicht zugelassen werden, er kann jetzt mit 18…Dg1+ 19.Kd2 Df2+ 20.Le2 Dxf4+ 21.Ke1 Df2+ 22.Kd2 noch einen Bauern abräumen und dann mit dem einfachen 22…Kxd7 den Sack zumachen. Sein Zug würde auch reichen.
16…Dxg2+ 17.Ke1
Nach 17…Lf3 18.Le3 Lxd1 18.Txd1 Dg3+ nebst Damentausch war nur noch das Problemchen Bd7 zu lösen. Nach dem Textzug steht er weiterhin auf Gewinn, aber ein direkter Gewinn ist nicht in Sicht, er war wohl froh, gegen das „Talent“ mit heiler Haut und einem Remis davon gekommen zu sein.
17…Sh2 18.Df2 De4+19.Le2 ½–½