Computer

Partievorbereitung

Profis verbringen den grössten Teil ihrer „Arbeitszeit“ am Computer. Auch Amateure investieren für eine Partievorbereitung gerne  einmal einen halben oder ganzen Tag, insbesondere in Mannschaftswettkämpfen, wo dazu genügend Zeit vorhanden ist.

IM Andreas Heimann – Bruno Nideröst
Schweizerische Mannschaftsmeisterschaft 2010

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Lb4 5. e5 h6 6. Le3 Se4 7. Dg4 g6 8. a3 Lxc3+ 9. Lxc3 c5 10. Ld3 h5

In der Vorcomputerzeit existierte dieser Zug nicht. Jetzt ist er die Hauptvariante.

11. Df4 g5 12. Df3 Sxc3 13. dxc5 Sc6 14. Dg3 Da5 15. Ld2 Dxc5 16. Dxg5 Se4 17. Lxe4? dxe4?

Das war nachträglich gesehen der Höhepunkt der Partie. In der Analyse hatten die Gegner gerade diese Stellung auf dem Brett, als unser Mannschaftskollege Kevin Cremer hinzu kam. Dieser erklärte zur Verblüffung und Erheiterung der Spieler und Kiebitze, dass 17.Lxe4 falsch ist, und dass darauf 17…dxe4 zwar +0.15 wäre, 17…Dd4 hingegen –0.49! Er hatte dasselbe für Andreas Heimann vorbereitet, und nannte tatsächlich auf zwei Kommastellen genau die Rybka-Bewertung. Perfekt wäre es gewesen, wenn er auch noch die Rechenzeit hinzugefügt hätte.

Schwarz gewinnt einfach einen Bauern. Viel bemerkenswerter ist für mich, dass keiner der Spieler 17…Dd4 gesehen hat. Wieder einmal ein einfacher „methodischer“ Zug zum Thema „übertrumpfen!“

18. Se2 Sxe5 19. Dg7 Sg6 20. Lb4 Dc7 21. O-O Ld7 22. Tfd1 O-O-O 23. Ld6 Dc4 24. Sg3 e5 25. Lxe5 h4 26. Sf1 De6 27. Lb2 f5 28. Se3 Lc6 29. Df6 Txd1+ 30. Txd1 Dxf6 31. Lxf6 Tf8 32. Lg7 Tf7 33. Ld4 b6 34. Lb2 f4 35. Sc4 Td7 36. Txd7 Kxd7 37. Se5+ Sxe5 38. Lxe5 f3 39. gxf3 exf3 40. h3 Ke6 41. Lb8 Kf5 42. c4 a6 43. Lc7 Kg6 44. Lxb6 Kh5 45. Ld8 Ld7 46. Kh2 Lc6 47. Le7 Ld7 48. c5 Lc6 49. Ld6 Ld7 50. Lf4 Kg6 51. Lc7 Kh5 52. Ld6 Kg6 53. Lc7 Kh5 54. Ld6 1/2-1/2

Meines Wissens ist 2004 in Brissago zum ersten Mal eine WM-Partie durch Computervorbereitung entschieden worden.

Wladimir Kramnik – Péter Léko
WM Brissago, 2004, 8. Partie

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0–0 8.c3 d5 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 12.d4 Ld6 13.Te1 Dh4 14.g3 Dh3 15.Te4 g5 16.Df1 Dh5 17.Sd2 Lf5 18.f3 Sf6 19.Te1 Tae8

Das Match stand zu diesem Zeitpunkt unentschieden. Kramnik wollte im Marshall-Gambit den entscheidenden Schlag landen. Sein Sekundant Peter Swidler hatte diese Stellung analysiert, und vermeintlich einen Gewinn entdeckt.

Schwarz droht 20…Ld3, sodass keine Zeit zu 20.a4 bleibt. Der einzige Zug, der diese Drohung bedient, ohne selber zu tauschen, ist 20.Ld1, wonach 20…Ld3 an 21.Se4 Sxe4 22.fxe4 scheitert, weil jetzt die Dame auf h5 hängt.

Mit dem Tausch auf e8 entsteht ein beträchtliches Ungleichgewicht: Schwarz greift mit sämtlichen Figuren an, während vor allem der Ta1 aus dem Spiel ist, und der Lc1 auch eher die Rolle eines Zuschauers hat.

20.Txe8 Txe8 21.a4 Dg6 22.axb5

Die „Pointe“. Auf 22…axb5 23.Ta7 kommt Weiss in Vorteil. Es bleibt nur der Textzug.

22…Ld3

23.Dd1 Le2 24.De1 ist remis. Daher:

23.Df2? Te2 24.Dxe2 Lxe2 25.bxa6

Fritz sah das als gewonnen an, aber neuere Programme widersprechen dem, und halten 25…Lxa6 für remis. Zu Swidlers, und vor allem Kramniks Pech brauchte Fritz damals über 2 Minuten, um den Gewinnzug 25…Dd3 zu sehen, und so lange liess Swidler den Computer nicht laufen. Léko war in Zeitnot und fand es trotzdem.

25…Dd3

Es droht 26…De3+ 27.Kg2 Lxf3+ 28.Sxf3 De2+ 29.Kg1 Sg4 mit undeckbarem Matt.  Auch wenn er auf a8 eine neue Dame mit Schach macht, könnte diese das Matt nicht verhindern. Der Rest war trostlos.

26.Kf2 Lxf3 27.Sxf3 Se4+ 28.Ke1 Sxc3 29.bxc3 Dxc3+ 30.Kf2 Dxa1 31.a7 h6 32.h4 g4 0–1

A propos. Eine Buchempfehlung:

Jewgeni Barejew, Ilja Lewitow, Von London bis Elista.
Die Insider-Geschichte der Weltmeisterschaftskämpfe im Schach, die Wladimir Kramnik gegen Garri Kasparow, Peter Leko und Wesselin Topalow gespielt hat.

Taktik

Stockfish – Komodo, TCEC Superfinal 2014

Zurzeit (September 2014) sind Stockfish und Komodo die stärksten. Stockfish gilt als besonders opferfreudig, währenddem Komodo positionelle Fähigkeiten nachgesagt werden.

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Le7 5.e5 Sfd7 6.h4 0–0

Diesen Zug gibt es schon lange. Ein Vorgänger ist Euwe – Maroczy, Amsterdam 1921. Damals hielt man die Rochade wegen 7.Ld3 c5 8.Dh5 für einen Fehler. Dank der Computer ist die Variante wieder in Mode gekommen.

7.Dg4 Te8

So gut wie eine Neuerung. Das wurde 2007 in einer Partie Bücker – Holmberg, 22. Fernschach-Weltmeisterschaft gespielt. Weiss setzte mit 8.f4 fort.

Wenn Sie jetzt eine Positionspartie erwarten, liegen Sie falsch…

8.Lh6 Lf8 9.h5 f5 10.exf6 e5 11.fxg7 exd4+ 12.Sge2 Lc5 13.Df3 c6 14.Sxd5 Te6 15.0–0–0 Txh6 16.Sxd4 Se5 17.Df4 Td6 18.Se3 Lxd4 19.Txd4 Txd4 20.Dxe5 c5 21.Lc4+ Txc4 22.Sxc4 Sc6 23.Dxc5 Df6 24.h6 Le6 25.Kb1 a5 26.Sd6 Sb4 27.b3 Sd5 28.Se4 Dg6 29.Th4 a4 30.Dd6 b5 31.Kc1 axb3 32.axb3 b4 33.Dg3 Dxg3 34.Sxg3 Kf7 35.Se2 Kg6 36.Sf4+ Sxf4 37.Txf4 Lf7 38.c4 bxc3 39.Kc2 Tg8 40.Kxc3 Tc8+ 41.Kb2 Tb8 42.b4 Lg8 ½–½

Der Rest ist uninteressant. Die Partie endete erst nach 122 Zügen.

Rechenhorizont

Ich habe Erfahrung mit Computeranalysen. Um 2010 herum spielte ich ein paar Fernschachturniere. Der durchschnittliche Fernschachspieler folgt im Wesentlichen den Varianten, die die Programme vorschlagen, denn in aller Regel sind die Züge, die sie bevorzugen, gut. Aber Programme haben eine Schwäche: Sie können in wenig forcierten Stellungen „nur“ ca. 5 Züge voraussehen.

Anfangs habe ich im Fernschach „normal“ gespielt, was bedeutet, dass ich versuchte, die besten Züge zu finden. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass meine Gegner praktisch immer die Züge machten, die Rybka nach ein paar Minuten zuoberst hatte. Das begann ich auszunutzen. Damals war es noch einfach, denn Rybka war das klar stärkste Programm. Heutzutage müsste man zusätzlich noch die Meinung von Houdini, Critter und Stockfish einholen. Meine Erfahrungen als „Damenspringer“ habe ich in einem Büchlein festgehalten: „Die Teflon-Variante, oder 88% gegen Rybka“. Ich habe noch ein paar Restexemplare, für 10 Euro inklusive Porto bei mir zu kaufen.

Nachstehend ein paar Partien, die die Schwächen Rybkas dokumentieren.

Damenspringer – Jameson 

1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 g6 4.Le3 c6 5.Dd2 b5 6.Ld3 Sbd7 7.Sf3 Dc7 8.0–0 Lg7 9.Lh6 0–0 10.Se2 c5 11.c3 a6 12.Sg3 Te8 13.Tfe1

Im Partieschach wäre das ein idiotischer Zug. Der Turm müsste auf f1 bleiben, um ein späteres f4 zu unterstützen. Aber auf diesen Zug wollte Rybka partout auf h6 tauschen.

13…Lxh6? 14.Dxh6 e5 15.Tad1

Und, wozu soll jetzt das gut sein? Ganz einfach, danach tauscht Rybka auf d4.

15…exd4? 16.cxd4 Lb7?

Der letzte Fehler. Der Läufer musste auf c8 bleiben, um einen Springer, der eventuell auf f5 auftaucht, zu schlagen.

17.Sg5 c4 18.Lc2 Sf8 19.f4 Sg4 20.Dh4 h5 21.f5 Tad8 22.h3 Sf6 23.Tf1 S6h7 24.Sxh5 gxh5 25.Sxh7 Sxh7 26.f6 Lxe4 27.Lxe4 Txe4 28.Dxe4 d5 29.Dh4 Te8 30.Dxh5 Kh8 31.Tde1 Tg8 32.Tf3 Da5 33.Te2 1–0

Damenspringer – Pepper

1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.h4 h6 7.Sf3 Sd7 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 e6 11.Lf4 Sgf6 12.0–0–0 Le7 13.Kb1 0–0 14.Se4 Sxe4 15.Dxe4 Sf6 16.De2 Dd5 17.Se5 De4 18.Dxe4 Sxe4 19.The1 Sf6 20.g4 Tfd8 21.f3 Tac8 22.c4

Soweit alles Theorie. Die Stellung ist tot remis, sofern Schwarz einfach nichts tut. Aber Programme neigen zu Hyperaktivität. Rybka macht „aktive“ Züge, und sieht nicht, dass er mir damit langfristig einen Freibauern am Damenflügel schenkt.

22…b5? 23.Tc1 bxc4 24.Txc4 Sd5 25.Le3 c5 26.dxc5 Sxe3 27.Txe3 Txc5 28.Txc5 Lxc5 29.Tc3 Lf2 30.Kc2 f6 31.Sc6 Td7 32.b4 e5?

Der letzte Fehler. Er gibt mir das Feld d5 in die Hand

33.Td3 Txd3 34.Kxd3 Kf7 35.Kc4 Ke6 36.Sd8+ Ke7 37.Sb7 1–0

Damenspringer – Spidey 

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 d6 8.c3 0–0 9.h3 Lb7 10.d4 Te8 11.Sbd2 Lf8

Kasparow hat hier 11.a4 gezogen. Damit hätte ich die Partie gegen Rybka kaum gewonnen. Ich plane einen langfristigen Angriff am Damenflügel: b5 blockieren und angreifen, Springer auf a5 pflanzen und auf der a-Linie die Türme verdoppeln. Beobachten Sie, wie reibungslos das funktioniert.

12.a3 h6 13.Lc2 Sb8 14.b4 Sbd7 15.Lb2 g6 16.a4 Lg7 17.Ld3 c6 18.Sb3 Db6 19.dxe5 dxe5 20.Sa5 Tad8 21.axb5 cxb5 22.Db3 Sh5 23.Sxb7 Dxb7 24.c4 Sf4 25.Lf1 Sb8 26.cxb5 axb5 27.Ta5 Sc6 28.Txb5 De7 29.Dc4 Sd4 30.Sxd4 exd4 31.e5 Se6 32.g3 Tc8 33.Db3 Ted8 34.h4 Td7 35.Lc4 Tcd8 36.Dd3 h5 37.Te4 Ta8 38.Tb6 1–0

Damenspringer – Teflon

1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Sd7 5.Sg5 Sgf6 6.Ld3 h6 7.Se6 Db6 8.Sf3 fxe6 

Damit kommen wir zur zweiten Kategorie von Schwächen: Opfer. Dies ist ein langfristiges. Die entscheidenden Varianten liegen weit hinter dem Rechenhorizont der Programme, welche nicht in der Lage sind, die Stellung einzuschätzen.

9.Lg6+ Kd8 10.0–0 Db4 11.Ld2 Dxb2 12.c4 Db6 13.Dc2 a5 14.Tab1 Dc7 15.Tfe1 Se8 16.Txe6 Ta6 17.g3 Db8 18.Lxe8 Kxe8 19.Dg6+ Kd8 20.d5 Sf6 21.Lf4 1–0

 Teflon – Damenspringer

1.e4 e5 2.Sc3 Sf6 3.f4 d5 4.exd5 Sxd5 5.fxe5 Sxc3 6.bxc3 Dh4+ 7.Ke2 Lg4+ 8.Sf3 Sc6 9.d4 0–0–0 10.De1 Dh5 11.Kf2 f6 12.exf6 Lxf3 13.De6+ Kb8 14.gxf3 gxf6 15.Dh3 Da5 16.f4 Sxd4

Dieses Opfer kam am Ende einer langen, mehr oder weniger forcierten Variante. Computer können es nicht voraussehen, und aufgrund der äusserst komplexen Varianten auch nicht einschätzen.

17.cxd4 Txd4 18.Le3 Lc5 19.Df3 Te8 20.Lxd4 Lxd4+ 21.Kg3 Df5
0–1

Damenspringer – Veteran

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 d6 4.d4 cxd4 5.Sxd4 Sf6 6.Lc4 e6 7.Le3 Le7 8.De2 a6 9.0–0–0 Dc7 10.Thg1 Sa5 11.Ld3 b5 12.g4 b4 13.Sa4 Sd7 14.g5

Eine theoretische Neuerung.

14…Sc5 15.Sxc5 dxc5 16.Sf5

Das stellt die Bewertung der Variante auf den Kopf. Schwarz kann die Stellung möglicherweise halten, aber das war selbst für die vereinten Kräfte von Mensch und Maschine zu schwer.

16…exf5 17.exf5 c4 18.Le4 Tb8 19.Ld4 b3 20.axb3 cxb3 21.Lxg7 Tg8 22.f6 bxc2 23.Dxc2 Sc4 24.Tge1 Le6 25.Ld5 Df4+ 26.Te3 Ld6 27.Lxe6 fxe6 28.Td4 Sxe3 29.Da4+ Kf7 30.Txf4 Tgc8+ 31.Kb1 1–0

Eine Glanzpartie.

Wie Sie sehen, ist dem Ingeniör alles langfristige zu schwör.

Ich beschränke mich bei Vorbereitungen auf scharfe Varianten, die Bewertung braucht nicht einmal vorteilhaft zu sein. Entscheidend ist der Schwierigkeitsgrad für den Gegner, darauf achte ich. Ich baue darauf, dass ich die Stellung aufgrund meiner Analysen einigermassen verstehe, aber mein überraschter Gegner wohl eher nicht. Deshalb halte ich es für besonders wichtig, Fehler zu analysieren und zu verstehen.

Antiquarische Schachbücher