Der Wankelmütige

Stockfish 11 ist veröffentlicht! Er soll etwa 50 Elo stärker sein als SF10 und etwa 150 Elo besser als SF8. Ausserdem gibt es eine Version für moderne Computer mit 4 Prozessoren.

Margarita Voiska – Emilia Djingarova
Bulgarische Mannschaftsmeisterschaft 2008
1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb7 4.Sc3 Lb4 5.f3 f5 6.exf5 Sh6 7.fxe6 Sf5 8.Lf4 dxe6 9.Da4+ Sc6 10.d5 Lxc3+ 11.bxc3 exd5 12.O-O-O Df6 13.Da3 O-O-O 14.cxd5 Sce7 15.c4 Sg6 16.Lg3 Da1+ 17.Kc2 Se3+ 18.Dxe3 Dxa2+ 19.Kc1 Da1+ 20.Kc2 Da2+ 21.Kc1 Da1+ 22.Kc2 Da2+ ½-½

Diese Partie wurde lange vor Stockfishs Ära gespielt und die beiden Damen dürften sich noch mit Rybka vorbereitet haben. Ich habe schon öfters darauf hingewiesen, dass Frauenschach die aktuelle Computertheorie fast perfekt wiedergibt. Frauen mögen es, in scharfen Varianten Computerzüge auswendig zu lernen.

1.d4 e6 2.c4 b6 3.e4 Lb7 4.Sc3 Lb4 5.f3 f5 6.exf5 Sh6 7.fxe6 Sf5

Das ist Tony Miles genialste Erfindung. Gespielt gegen Oscar Panno am Clarin-Turner 1979 in Buenos Aires. Diese Stellung beschäftigt mich seit über 10 Jahren und ich habe sie jeweils als erstes einem neuen Schachprogramm vorgelegt, um herauszufinden, was es davon hält, und ob sich die Bewertung seit Rybka geändert hatte.

Panno anwortete 8.Se2 dxe6 9.Lf4 O-O 10.Dd2 Dh4+ 11.Sg3 und verlor nach diversen Fehlern beidseits. Stockfish hält es für 0.00.

Ich selber durfte diese Stellung ein einziges Mal in einem Mannschaftswettkampf spielen, 2015 gegen IM Renzo Mantovani aus Italien. Er versuchte 8.Se2 dxe6 9.Da4+ Sc6 10.a3? Lxc3+ 11.bxc3 O-O und stand bereits sehr schlecht, rettete sich aber mit Mühe und Not in ein Remis. Im Blitz habe ich sie selbstverständlich schon dutzende Male gehabt.

Seit Version 10 habe ich mit Stockfish das Problem, dass er sich nicht entscheiden kann. Das hat sich offenbar bei SF11 nicht geändert. Er schwankt beständig zwischen 8.Ld3 und 8.Lf4. Gerade bevorzugt er 8.Ld3 mit +1.31 vor 8.Lf4 mit +0.99. Ich erinnere mich, dass auch Rybka 8.Ld3 stark favorisierte. In dem Moment, da ich das schreibe, bekommt 8.Ld3 nur noch 1.06 und an zweiter Stelle steht 8.Se2 mit 0.94. Aber gerade eben ist 8.Lf4 an erste Stelle gerückt und 8.Ld3 nur noch die Nr. 3.

Nun, nach etwa 5 Minuten sieht er die 3 Züge als etwa gleichwertig, mit Bewertungen so um die 0.5 bis 0.6. Wenn ich also Bescheid wissen will, muss ich in die Varianten eintauchen und wieder Zug für Zug zurück gehen. Ich nenne das die Vorwärts-Rückwärts-Methode.

Dabei stellt sich heraus, dass er die Stellung für den Spieler, der gerade am Zug ist, gnädiger einschätzt als zuvor, als der andere am Zug war. So etwa kommt die Bewertung nach 8.Se2 ziemlich schnell auf 0.00 herunter und zwar sowohl nach 8…dxe6 als auch nach
8…O-O. Führe ich jedoch 8…dxe6 aus, sieht er wiederum Weiss mit +0.5 im Vorteil. Sein Favorit ist dann 9.Dd3. Führt man den aus, fällt die Bewertung wieder auf 0.00 und so weiter und so weiter.

Was nun 8.Ld3 betrifft, stellt sich nach einigem Bewertungs-Pingpong heraus, dass man wahrscheinlich 8…Dh4+ ziehen sollte. Dann wiederum ist es völlig unklar, ob 9.Kf1 oder 9.g3 kommen sollte. Gottseidank muss ich mich ja nur für Schwarz vorbereiten und merke mir die Variante 8.Ld3 Dh4+ 9.g3 Sxg3 10.Lg5 Dxg5 11.hxg3 Lxc3+ 12.bxc3 dxe6 13.De2 Sd7 14.Dxe6+ Kd8.

Im Falle von 8.Ld3 Dh4+ 9.Kf1 wusste ich bereits seit Rybka, dass 9…O-O gut genug ist, dass dann 10.exd7 Sxd7 an Selbstmord grenzt und weder 10.Sb5 Sc6, noch 10.Sd5 Ld6 Weiss etwas einbringen.

Das ist Computerschach. Im Menschenschach sieht es zuweilen anders aus: 8.Ld3 Dh4+ 9.Kf1 Sxd4? 10.exd7+? Sxd7 11.Le4 Lxe4 12.Dxd4 Lxc3 13.bxc3 O-O 14.Dxd7 Kh8 15.g3? Dh5 16.Lf4 Lxf3 17.Sxf3 Dxf3+ 18.Kg1 Tad8 19.De7 Tde8 20.Da3 Txf4 21.gxf4 Dg4+ 22.Kf1 Dxf4+ 23.Kg1 Dg4+ 24.Kf1 Df3+ 25.Kg1 Te2 0-1 (Gärtner-Sulava, Wien 1996).

8.Lf4 dxe6 9.Da4+ Sc6

Die nächste Entscheidung steht an. SF11 favorisiert 10.d5, was offenbar schon Rybka getan hat, sonst hätte Margarita nicht so gespielt.

Zu 10.O-O-O haben wir Partie-Beispiele. In Inarkiew-Morosewitsch, Poikowski 2015, verlor Schwarz nach 10…Lxc3? brotlos. Der einzige Zug ist 10…Sxd4. Darauf galt in der Vorcomputer-Ära 11.Sb5 O-O 12.Lxc7 als Widerlegung, aber schon Christian Bauer hat in seinem Buch über 1…b6 gezeigt, dass 12…Dg5+ 13.f4 Dh6 zu einem forcierten Remis führt, was auch Stockfish in Sekundenschnelle erkennt. Die Hauptvariante lautet 14.Sxd4 Txf4 15.Lxf4 Dxf4+ 16.Kb1 Sxd4 17.Sf3 Sxf3 18.Dxb4 Le4+ 19.Ka1 Sd4 20.Dd2 Sc2+ 21.Kb1 Sb4+ 22.Ka1 Sc2+.

Schwarz hat auch auf andere Züge nichts zu fürchten, obwohl SF11 anfangs auf Vorteil für Weiss plädiert. Am plausibelsten erscheint 11.Sge2 Sxe2+ 12.Lxe2 Df6.

Tricky ist 11.Le5 Lc5 12.Sge2 O-O 13.Sxd4 Dg5+ 14.f4 Txf4 15.Sxe6 Dxe5 16.Sxf4 Dxf4+ 17.Kb1 Sb4. Ich versuche mal, mir das einzuprägen.

10.d5 Lxc3+ 11.bxc3 exd5 12.O-O-O Df6

Die Damen sind bestens informiert. Allerdings war das vielleicht etwas vorschnell, wegen 13.cxd5 Dxc3+ 14.Kb1 Db4+ 15.Dxb4 Sxb4 16.Lb5+ Kf7 17.Sh3 und die weissen Figuren sind ein wenig besser koordiniert. Die Alternative war das Bauernopfer 12…O-O 13.cxd5 Sa5 mit gutem Spiel.

Dies war die erste Stellung, in der Schwarz mehrere Optionen hatte. In der Partie-Vorbereitung auf eine Frau brauche ich mir schwache Züge nicht anzusehen. Es werden keine kommen. Aber am Ende einer Variante, so wie hier, sollte ich mir alle möglichen Gegenzüge ansehen. Es kann gut sein, dass die Gegnerin keinen Dunst davon hat. So wie hier, wo Margarita instant patzt.

13.Da3? O-O-O 14.cxd5 Sce7 15.c4 Sg6?

In solchen Stellungen braucht es keine Vorwärts-Rückwärts-Analysen mehr. SF11 gibt den Gewinn klipp und klar an. 15…g5 16.Lg3 Lxd5 17.cxd5 Sxd5 mit tödlichem Angriff.

16.Lg3 Da1+

Mit 16…The8 hätte sie schon noch auf Gewinn spielen können. Aber sieh, das Remis ist so nah…

17.Kc2 Se3+ 18.Dxe3 Dxa2+ 19.Kc1 Da1+ 20.Kc2 Da2+ 21.Kc1 Da1+ 22.Kc2 Da2+ ½-½