Weltmeister aller Klassen

Zwischen Weihnachten und Neujahr 2019 hat Magnus Carlsen den Weltmeistertitel im Rapid und im Blitz geholt. Zudem war er zu dieser Zeit die Nr. 1 in der Football Fantasy League. Nein, das ist kein exotisches Nischenspiel, sondern hat etwa 7 Millionen Mitspieler.

Magnus Carlsen – Hikaru Nakamura
Blitz WM 2019

1.d4 Sf6 2.Sf3 d5 3.Lf4 c5 4.e3 e6 5.Sbd2 Ld6 6.Lxd6 Dxd6 7.dxc5 Dxc5 8.c4 dxc4 9.Lxc4 O-O 10.O-O De7 11.Tc1 b6 12.De2 Lb7 13.Tfd1 Sbd7 14.La6 Sc5 15.Lxb7 Dxb7 16.Se5 Scd7 17.Df3 Da6 18.Sc6 Kh8 19.Sc4 Dxa2 20.g4 Sc5 21.Sd6 Sb3 22.Tc2 Da4 23.Tc4 Da6 24.g5 Sd7 25.Th4 Sbc5 26.Sxf7+ Txf7 27.Dxf7 De2 28.Txd7 Sxd7 29.Dxd7 Tf8 30.Tf4 1-0

Im Blitz war es knapp. Vor allem, weil Magnus in der 19. Runde gegen Alireza Firouzja komplett auf Verlust stand. Alireza überschritt in dieser Stellung (W: Kg4, Ld5, Be4, Be6, Bg5 ; S: Ke7, Ld2) die Zeit, und es ereigneten sich hektische Szenen, weil Magnus nur noch einen Läufer übrig hatte. Sogar Grischuk versuchte Magnus zu überzeugen, dass das remis wäre, weil alle Schachserver automatisch Remis geben, wenn eine Partei die Zeit überschreitet und die andere zu wenig Material zum Mattsetzen hat. Alireza protestierte, aber die Fide-Regeln sind anders. Dort wird es als gewonnen gewertet, wenn theoretisch noch ein Matt möglich ist. Zu Alirezas Pech lässt sich aber gerade wegen der ungleichfarbigen Läufer ganz leicht ein Hilfsmatt konstruieren.

Dann übertrieb es Alireza in seinem Frust und protestierte schriftlich, weil Magnus nach einem Bock laut auf Norwegisch geflucht hatte und er sich dadurch in seiner Konzentration gestört fühlte. Das Youtube-Video zeigt deutlich, dass es ein ganz normaler Schreckensmoment nach einem Einsteller war. Wenn so ein Protest durchkäme, würde es an jedem Blitzturnier Proteste hageln. Alireza musste deswegen einen veritablen Shitstorm über sich ergehen lassen. Magnus hingegen zeigte sich nachsichtig und meinte, dass so etwas bei einem 16-jährigen wohl noch vorkommen dürfe und Alireza aus dem Vorfall sicher lernen würde.

Die Schlusstellung ist übrigens remis. Sobald der weisse König nach h5 geht, wechselt der schwarze Läufer auf die lange Diagonale, um g6 mit Lg7 abzufedern. Geht dann der König nach vorne, greift Ld2 (oder Lc1) den g-Bauern an und es geht nicht mehr weiter. Diese Erkenntnis mag Alireza die entscheidenden Sekunden gekostet haben. Magnus wäre mit Remis zufrieden gewesen, aber vielleicht nicht Weltmeister geworden…

Das ist die zweite und entscheidende Partie des Tiebreaks gegen Hikaru Nakamura.

1.d4 Sf6 2.Sf3 d5 3.Lf4 c5 4.e3 e6 5.Sbd2 Ld6 6.Lxd6

Ich spiele mit Schwarz genau so und ärgere mich jedes Mal über diesen Zug. Normalerweise wird es dann nach 7.c3 O-O 8.Ld3 Sbd7 9.O-O e5 eine völlig fade Angelegenheit. Magnus folgt der Computer-Empfehlung und spielt es etwas anspruchsvoller.

6…Dxd6 7.dxc5 Dxc5 8.c4 dxc4

Hikaru guckte in die Luft und machte seinen „wie war das nochmal?“- Gesichtsausdruck. Dann entschied er sich für diesen Tausch. Tatsächlich scheint das das Solideste zu sein.

9.Lxc4 O-O 10.O-O De7 11.Tc1 b6 12.De2 Lb7 13.Tfd1 Sbd7 14.La6

Bis hierhin alles flüssig gespielt. Hikaru musste sich entscheiden, ob er seine Dame auf e7 oder b7 haben wollte. Nachträglich betrachtet wäre 14…Lxa6 15.Dxa6 Sc5 sicherer gewesen.

14…Sc5 15.Lxb7 Dxb7 16.Se5 Scd7 17.Df3 Da6

Nach 17…Dxf3 18.Sdxf3 Sxe5 19.Sxe5 steht das Endpiel ein wenig besser für Weiss, aber das da ist riskant. Nach kurzer Überlegung gab Magnus den Bauern her.

18.Sc6 Kh8?!

Er hätte ihn gleich nehmen müssen, 18…Dxa2 19.Sc4, und jetzt ist 19…Kh8, was einem Turm das Feld c8 zugänglich macht, ein guter Zug. Weiss könnte mit 20.Td3 Da4 21.Ta3 Db5 22.Sxa7 den Bauern zurück holen.

Magnus hätte nun mit 19.a3 Tac8 20.Sc4 den Bauern behalten und ähnlich wie in der Partie den Springer auf d6 pflanzen können. Eine heisse Variante ergibt sich nach 20…Sd5 21.Sd6 Txc6 22.Txc6 Se5 23.Sxf7+ Sxf7 24.Txe6 Sf6 25.h4

19.Sc4 Dxa2 20.g4

Der natürliche Angriffszug. Computer möchten lieber wie oben den a-Bauern abholen: 20.Td3 Da6 21.Ta3 Db5 22.Sxa7

20…Sc5?!

Das freche 20…b5 21.Sd6 Dxb2 hätte die Stellung (theoretisch) gehalten. 22.g5 Sd5 und jetzt geht 23.Sxf7+ Txf7 24.Dxf7 Tf8 nicht. Nach 23.e4 hat Schwarz die Ausrede 23…Se5 24.Sxe5 Dxe5 25.Sxf7+ Txf7 26.Dxf7 Dxg5+ 27.Kh1 Sf4 28.Tg1 De5.

21.Sd6?!

Stockfish hält 21.S4e5 Dxb2 22.Tc4 für besser, denn Schwarz kann sich nun mit 21…Dxb2 22.g5 Sfd7 23.Tc4 g6 verteidigen.

21…Sb3??

Der entscheidende Fehler. Nun läuft alles wie am Schnürchen und Hikaru begann alsbald, den Kopf zu schütteln.

22.Tc2 Da4 23.Tc4 Da6 24.g5 Sd7 25.Th4 Sbc5

Es half nichts mehr. Aber was macht Magnus denn da? 26.Txh7+ Kxh7 27.Dh5+ Kg8 28.Se7# ist eine Kombination aus der Sparte „leichte Kost“.

26.Sxf7+ Txf7 27.Dxf7 De2 28.Txd7 Sxd7 29.Dxd7 Tf8 30.Tf4 1-0

Nun ist Magnus also erneut Weltmeister aller Klassen. Ist er auch der beste Spieler aller Zeiten? Meiner Meinung nach – ja. Ein Gegenargument wäre, dass er nur wenig besser ist als Caruana oder Ding, aber dass Fischer und Kasparow die Weltelite seinerzeit regelrecht dominiert haben. Das ist schon so, aber Fischers Gegner waren allesamt nicht 2700 Elo „wert“, und Kasparow hat wohl alle dominiert, ausser einem, Karpow, obwohl er gegen den an Weltmeisterschaften immer gewann, aber insgesamt mit dem denkbar knappsten Resultat von 73 zu 71. Mein Hauptargument ist die Genauigkeit. Magnus ist der Spieler, der vergleichsweise die meisten „Computerzüge“ macht und am wenigsten Fehler begeht, auch verglichen mit Fischer oder Kasparow.