Ich schreibe in „Keine Pläne!“ vom ‚Angriffsprimat‘, was heissen soll, dass Angriffszüge gegenüber Entwicklungszügen den Vorrang haben. Normalerweise sind in der Eröffnung die Angriffszüge auch Entwicklungszüge. Das stimmt aber nicht immer, und genau dann tritt das Angriffsprimat in Kraft. Diese Idee teste ich in meinen Blitzpartien mehr oder weniger konsequent aus. In der vorliegenden Partie dachte ich beim 7. und 8. Zug, dass ich nun schon langsam anfange zu spinnen…
Er – Ich, 3 Minuten Blitz
1.d4 e6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb4 4.Ld2 Lb7 5.a3 Lxc3 6.bxc3 Sc6 7.e3 Sa5 8.Sf3 La6 9.Da4 Sf6 10.Ld3 O-O 11.O-O d5 12.Se5 De8 13.Dxe8 Tfxe8 14.cxd5 Lxd3 15.Sxd3 exd5 16.Se5 Se4 17.Tfd1 Sb3 18.Ta2 Sexd2, und bald 0-1
Für Schachfreunde, die sich die Sache mit dem Computer ansehen möchten, kopiere ich oben die Partie ein. Anmalen, kopieren und z.B. in Chessbase einfügen.
1.d4 e6 2.c4 b6 3.Sc3 Lb4
Meiner Ansicht nach ist dies der korrekte Zug, und nicht der gedankenlose Entwicklungszug 3…Lb7, wonach 4.a3 ins unangenehme Petrosian-System überleitet. Es gibt eine eingeschworene Gemeinde von Anhängern der Englischen Verteidigung – so heisst diese Eröffnung – die sich an dieser Stelle mit 4…f5 durch 5.d5 einengen lassen. Computer halten das für absolut spielbar, hingegen sprechen die 62%, die Weiss aus dieser Stellung heraus holt, dagegen.
4.Ld2
Ein guter Zug. Er möchte den Läufer mit a3 zum Tausch nötigen, damit das Läuferpaar bekommen und gleichzeitig den Läufer auf c3 in Schussposition bringen.
Natürlich widerlegt das keinesfalls meine Eröffnung. Der angesagte Zug wäre 4.e4, welcher Bauer aber ein schönes Angriffsobjekt für die schwarzen Figuren abgibt. Eine Mustervariante: 4.e4 Lb7 5.Ld3 f5 6.Dc2 Dh4.
4…Lb7
Das ziehe ich 4…Sf6 vor. Ich könnte dann nach 5.a3 Lxc3 6.Lxc3 mit 6…Se4 das Läuferpaar vernichten. Nach 7.Dc2 Sxc3 8.Dxc3 ist nicht viel los.
Der Hauptgrund ist aber, dass ich nach dem frechen 5.e4 Lxc3 6.Lxc3 Sxe4 7.Dg4 Sxc3 8.Dxg7 Tf8 9.bxc3 Lb7 schlechte Erfahrungen gemacht habe.
5.a3 Lxc3 6.bxc3?
Er hatte seinen Plan durchgesetzt. Über diesen Zug brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Er blieb aber der einzige Grottenzug meines Gegners.
Korrekt war selbstverständlich 6.Lxc3 Sf6 7.b3. Ich bin in der Entwicklung voraus, aber sollte die Stellung wegen dem Läuferpaar geschlossen halten, und nicht etwa 7…d5 ziehen, sondern 7…d6, um einen Aufbau mit Se4 nebst f5 anzustreben. Erst auf 8.f3 wäre 8…d5 angebracht. Ich halte die weissen Chancen für leicht besser.
Wenn ich nun 6…Sf6 spiele, bekommt er mit 7.f3 eine ganz passable Stellung. Da kam mir in den Sinn, dass sein Bc4 ein ausgezeichnetes Angriffsobjekt abgäbe, und ich begann, darauf hin zu spielen.
6…Sc6
Hier kam mir Freund Siegbert Tarrasch in den Sinn. Ich war gerade dabei, zwei Figuren zweimal zu ziehen, um einen Springer an den Rand zu stellen… Dass das Manöver Stockfishs Favorit ist – nicht auf Anhieb, man muss etwa eine Minute warten – und er auch in der Folge mit meiner Spielweise mehr oder weniger einverstanden ist, überraschte mich nachträglich doch ziemlich. Ich erwartete 7.e4 Sa5 8.f3 La6 9.Da4, was ich für deutlich besser für mich hielt. Auch hier pflichtet mir der Computer bei.
7.e3 Sa5 8.Sf3 La6 9.Da4
Hätte ich in einem der vorhergehenden Züge den Entwicklungszug Sf6 gemacht, wäre mein Vorteil verflogen. Erst jetzt ist es an der Zeit, das zu spielen. Ich bereite die Rochade vor, welche ihrerseits d5 vorbereitet.
9…Sf6 10.Ld3 O-O 11.O-O d5 12.Se5 De8
Auch das ist ein Angriffszug. Er zwingt Weiss, einen der Verteidiger von c4 abzutauschen, denn nach 13.Db4 dxc4 darf er nicht zurücknehmen: 14.Sxc4 Sd5 oder 14.Lxc4 Lxc4 15.Sxc4 Sd5 und er verliert eine Figur.
Er kann nun den Bauern retten, aber danach ist es positionell hinüber.
13.Dxe8 Tfxe8 14.cxd5 Lxd3 15.Sxd3 exd5 16.Se5 Se4 17.Tfd1? Sb3 18.Ta2 Sexd2
Ich glaubte, mit diesem Springer nehmen zu müssen. 18…Sbxd2 19.f3 Sxf3+ 20.gxf3 Sxc3 wäre das Tüpfelchen aufs i gewesen.
19.Tb2 c5 0-1
Er bekommt den Springer nur auf Kosten einer Qualität. Den Rest schenken wir uns.
Er – Ich
Oktober 2020, Blitz 3’+0“
1.Sf3 b6 2.g3 Lb7 3.Lg2 Sf6 4.d4 g6 5.c4 Lg7 6.O-O O-O 7.Sc3 Se4 8.Dd3 Sxc3 9.bxc3 Sc6 10.e4 Sa5 11.La3 d6 12.Sd2 c5 13.d5 Dd7 14.Sb3 Da4 15.Sxa5 Dxa5 16.Lb2 Da4 17.Tfe1 La6 18.Lf1 Tab8 19.Lc1 b5 20.cxb5 Lxb5 21.c4 Lxc4 22.Dxc4 Dxc4 23.Lxc4 Lxa1 0-1
1.Sf3 b6 2.g3 Lb7 3.Lg2 Sf6 4.d4 g6 5.c4 Lg7 6.O-O O-O 7.Sc3 Se4 8.Dd3 Sxc3
Eine wenig aussichtsreiche Stellung für Weiss. Es macht schon etwas aus, ob der Läufer aktiv auf g7 steht, statt auf e7 wie im klassischen Damenindisch.
Nach 9.Dxc3 c5 sollte Weiss 10.Td1 ziehen. Schwarz kann mit 10…Sc6 11.Le3 Tc8 weiter auf das Zentrum drücken. Es entsteht trotzdem eine ziemlich fade Stellung, weil Schwarz demnächst auf d4 und g2 tauschen, und d5 nachschieben sollte. Etwa 12.Tac1 Sxd4 13.Sxd4 Lxg2 14.Kxg2 d5 15.cxd5 cxd4 16.Dxc8 Dxc8 17.Txc8 Txc8 18.Lxd4 Lxd4 19.Txd4 Tc2 liegt im Bereich der Möglichkeiten.
Der meist gespielte Zug nach 9.Dxc3 c5, 10.Le3, lässt den Trick 10…Lxf3 11.Lxf3 Sc6 12.Lxc6 dxc6 13.Tfd1 Dd7 zu. Schwarz hat einen kleinen Vorteil.
9.bxc3?! Sc6
Diese Idee kennen wir bereits. Der Angriff auf c4 kommt schnell. Vielleicht müsste man hier oder im nächsten Zug bereits 10.c5!? versuchen.
10.e4 Sa5 11.La3?!
Das ist natürlich Quatsch.
11…d6 12.Sd2 c5 13.d5 Dd7
Schwarz gewinnt den c-Bauern.
14.Sb3 Da4 15.Sxa5 Dxa5?!
15…bxa5 war stärker…
16.Lb2 Da4 17.Tfe1 La6 18.Lf1 Tab8 19.Lc1 b5 20.cxb5?
…denn hier hätte Weiss den Bauern aufgeben können und mit 20.Lf4 oder 20.Lg5 Gegenspiel bekommen.
20…Lxb5 21.c4? Lxc4 22.Dxc4 Dxc4 23.Lxc4 Lxa1 0-1