Theoretiker

1858 trafen sich mit Anderssen und Morphy die zwei besten Spieler zu einem Match in Paris. Allgemein hatte man zwischen den beiden führenden Schachspielern dieser Zeit ein theoretisches Duell im Evansgambit und Königsgambit erwartet. Es kam anders. Die erste Partie sollte das einzige echte Theorieduell der beiden bleiben. Die nächsten drei Partien wurden Spanisch eröffnet, dann ging Anderssen als Schwarzer zu Skandinavisch und Sizilianisch über. Mit Weiss spielte er zum Schluss dreimal 1.a3, woraus jeweils ein Sizilianisch im Anzug entstand.

Paul Morphy – Adolf Anderssen
Match Paris 1858
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 exd4 7.O-O Sf6 8.e5 d5 9.Lb5 Se4 10.cxd4 O-O 11.Lxc6 bxc6 12.Da4 Lb6 13.Dxc6 Lg4 14.Lb2 Lxf3 15.gxf3 Sg5 16.Sd2 Te8 17.Kh1 Sh3 18.f4 Dh4 19.Dxd5 Sxf2+ 20.Kg1 Sd3 21.Lc3 Sxf4 22.Df3 Sh3+ 23.Kh1 Sg5 24.Dg2 Tad8 25.Tg1 h6 26.Taf1 Dh3 27.Dc6 Dd7 28.Dg2 Lxd4 29.Lxd4 Dxd4 30.Sf3 Dd5 31.h4 Se6 32.Dg4 Dc6 33.Tg2 Td3 34.Df5 Ted8 35.Df6 Dd5 36.Df5 Td1 37.Txd1 Dxd1+ 38.Kh2 Td3 39.Tf2 Te3 40.Sd2 Te2 41.Dxf7+ Kh8 42.Se4 Txf2+ 43.Sxf2 Dd5 44.Sg4 Dxa2+ 45.Kg3 Db3+ 46.Kh2 Dc2+ 47.Kg3 Dc3+ 48.Kh2 Dc6 49.h5 a5 50.Sf6 gxf6 51.Dxf6+ Kg8 52.Dg6+ Kf8 53.Dxh6+ Ke8 54.Dg6+ Kd7 55.h6 Dd5 56.h7 Dxe5+ 57.Kg1 Sg5 58.h8=D Dxh8 59.Dxg5 Dd4+ 60.Kf1 a4 61.Df5+ Kc6 62.Dc8 Kb5 63.Ke1 c5 64.Db7+ Kc4 65.Df7+ Kc3 66.Df3+ Dd3 67.Df6+ Kb3 68.Db6+ Kc2 69.Da7 Dc3+ 70.Ke2 a3 71.Da4+ Kb2 72.Db5+ Db3 0-1

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 exd4 7.O-O Sf6

Anderssens Hauptwaffe gegen „die schönste aller Eröffnungen“, wie sie Morphy in seinen Kommentaren zu den Labourdonnais-McDonnell Matches bezeichnete. Dies war die erste Partie des Matches.

In dieser Stellung ist 8.La3 der korrekte Zug, was auch Morphy bereits gegen einen gewissen Herrn N.N. ein Jahr zuvor gespielt hatte. Weiss macht damit nach 8…d6 9.e5 an die 90% der Punkte, nach der theoretischen Empfehlung 9…Se4 immer noch 80%, obwohl der Computer für 10.exd6 cxd6 11.De2 d5 12.Sxd4 Sxd4 13.cxd4 f5 14.Lb3 Kf7 die Bewertung 0.00 reklamiert.

8.e5 d5 9.Lb5

Die Alternative war 9.exf6, wonach eine lange forcierte Variante entsteht. 9…dxc4 10.fxg7 Tg8 11.Te1+ Le6 12.Lg5 Dd5 13.Sbd2 Txg7 14.Se4 Tg6 15.Sh4 Txg5 16.Sf6+ Ke7 17.Sxd5+ Txd5. Der Zug 13.Sbd2, notabene der einzige, der nicht verliert, stammt von Anderssen selber, aus einer Partie von 1859 gegen Jules de Rivière, die er kläglich verlor. Ich kann mich nicht erinnern, ob einer meiner Blitzgegner dieses 13.Sbd2 gefunden hat. Daran, dass sie irgend etwas anderes gemacht, und schnell verloren haben, aber schon.

9…Se4 10.cxd4?!

Morphy hat das theoretische Duell verloren. Das ist wohl der Grund, warum er nach dieser Partie zu Spanisch überging. Die korrekte Fortsetzung ist 10.Da4 O-O 11.Lxc6 Lxc3 12.Sxc3 Sxc3 13.Dc2 bxc6 14.Sxd4, aus einer Partie Salpius-Anderssen 1849, wonach Anderssen das korrekte 14…c5 nicht mehr fand und nach 14…Se4 15.Sxc6 verlor.

10…O-O 11.Lxc6 bxc6 12.Da4 Lb6 13.Dxc6 Lg4 14.Lb2?

Ein unglaublich schwacher Zug. 14.Le3 war das Einzige. Nach 14.Le3 Lxf3 15.gxf3 Sg5 16.Sd2 Se6 17.Sb3 steht Schwarz besser. 14…Lxf3 ist nicht obligatorisch, aber praktisch und gut.

14…Lxf3 15.gxf3 Sg5 16.Sd2 Te8

Verlockend. Er will den Turm mit Tempo an den Königsflügel führen. Das hätte er nach 16…Sh3+ gratis bekommen, etwa nach 17.Kg2 Dh4 18.Dd7 Sf4+ 19.Kh1 f6.

17.Kh1 Sh3

Jetzt hätte er mit 17…Te6 18.Dc3 Th6 bei seiner Idee bleiben sollen.

18.f4

Er gibt zurecht einen Bauern auf, um die Dame ins Spiel zu bringen. 18…Sxf4 hätte den Bd5 gedeckt, mit Gewinnstellung.

18…Dh4?! 19.Dxd5 Sxf2+ 20.Kg1 Sd3?! 21.Lc3 Sxf4 22.Df3 Sh3+ 23.Kh1 Sg5 24.Dg2 Tad8

Anderssen hat seine Gewinnstellung durch pomadiges Spiel herunter gewirtschaftet. Morphy konnte sich nun mit 25.Sf3 Sxf3 26.Dxf3 Td7 27.Tad1 einigermassen konsolidieren. Er muss gefühlt haben, dass er aus dem Gröbsten heraus war und kam auf die Idee, selber angreifen zu wollen.

25.Tg1? h6 26.Taf1 Dh3?!

Er hatte den Trick 26…Lxd4?! 27.Sf3 durchschaut, aber der Damentausch vergibt einen Teil seines Vorteils. 26…Te6 oder 26…Dh5 waren gute Züge. Morphy sollte jetzt 27.Dxh3 Sxh3 28.Tg4 versuchen.

27.Dc6? Dd7 28.Dg2 Lxd4 29.Lxd4 Dxd4

Jetzt hat er zwei Bauern weniger. Anderssen spielt es etwas umständlich und unter unnötigen technischen Schwierigkeiten nach Hause.

30.Sf3 Dd5 31.h4 Se6 32.Dg4 Dc6 33.Tg2 Td3 34.Df5 Ted8 35.Df6 Dd5 36.Df5 Td1 37.Txd1 Dxd1+ 38.Kh2 Td3 39.Tf2 Te3 40.Sd2 Te2 41.Dxf7+ Kh8 42.Se4 Txf2+ 43.Sxf2 Dd5 44.Sg4 Dxa2+ 45.Kg3 Db3+ 46.Kh2 Dc2+ 47.Kg3 Dc3+ 48.Kh2 Dc6 49.h5 a5 50.Sf6 gxf6 51.Dxf6+ Kg8 52.Dg6+ Kf8 53.Dxh6+ Ke8 54.Dg6+ Kd7 55.h6 Dd5 56.h7 Dxe5+ 57.Kg1 Sg5 58.h8=D Dxh8 59.Dxg5 Dd4+ 60.Kf1 a4 61.Df5+ Kc6 62.Dc8 Kb5 63.Ke1 c5 64.Db7+ Kc4 65.Df7+ Kc3 66.Df3+ Dd3 67.Df6+ Kb3 68.Db6+ Kc2 69.Da7 Dc3+ 70.Ke2 a3 71.Da4+ Kb2 72.Db5+ Db3 0-1

Das Match endete 8 zu 3 für Morphy. Manche Kommentatoren meinten, dass Anderssen nicht in seiner normalen Stärke gespielt habe. Das trifft meiner Meinung nach nicht zu. Anderssen patzte auch gegen andere Gegner relativ oft, während bei Morphy grobe Fehler grösstenteils ausblieben.

Hier noch zwei interessante Partien, beide durch grobe Einsteller Anderssens entschieden.

Morphy-Anderssen
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.d4 Sxd4 5.Sxd4 exd4 6.e5 c6 7.O-O cxb5 8.Lg5 Le7 9.exf6 Lxf6 10.Te1+ Kf8 11.Lxf6 Dxf6 12.c3 d5 13.cxd4 Le6 14.Sc3 a6 15.Te5 Td8 16.Db3 De7 17.Tae1 g5 18.Dd1 Df6 19.T1e3 Tg8 20.Txe6 1-0

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.d4 Sxd4 5.Sxd4 exd4 6.e5 c6 7.O-O cxb5 8.Lg5 Le7 9.exf6 Lxf6 10.Te1+ Kf8 11.Lxf6 Dxf6 12.c3?!

Er sollte den Bauern mit 12.Te4 zurück holen.

12…d5 13.cxd4 Le6 14.Sc3 a6 15.Te5 Td8 16.Db3 De7 17.Tae1 g5??

Er schwächt f5, was man mit Se2-g3-f5 ausnützen konnte.

18.Dd1 Df6 19.T1e3 Tg8??

Morphys vorangegangene Züge waren ungenau. 19…Kg7 20.h4 h6 21.Tf3 ist heikel, aber mit 19…Td6 sollte er es halten können.

20.Txe6 1-0

Morphy-Anderssen
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 5.Sb5 d6 6.Lf4 e5 7.Le3 f5 8.S1c3 f4 9.Sd5 fxe3 10.Sbc7+ Kf7 11.Df3+ Sf6 12.Lc4 Sd4 13.Sxf6+ d5 14.Lxd5+ Kg6 15.Dh5+ Kxf6 16.fxe3 Sxc2+ 17.Ke2 1-0

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 5.Sb5 d6 6.Lf4 e5 7.Le3

Bekannt aus Fischer-Taimanow 1971. Der nächste Zug entspricht ganz dem Zeitgeist. Er ist überraschenderweise halbwegs spielbar.

7…f5? 8.S1c3 f4 9.Sd5 fxe3 10.Sbc7+ Kf7 11.Df3+?

Eigentlich klar, dass Morphy auf Angriff spielt. 11.Sxa8 exf2+ 12.Kxf2 Dh4+ 13.g3 Dxe4 14.Lg2 Dd4+ 15.Dxd4 Sxd4 behielte eine Qualität.

11…Sf6 12.Lc4 Sd4 13.Sxf6+ d5 14.Lxd5+ Kg6?? 15.Dh5+ Kxf6 16.fxe3 Sxc2+ 17.Ke2 1-0