Gebratene Leber

Die Amerikaner kennen eine Variante, die sie „fried liver attack“ nennen. Ben Finegold z.B. bezeichnet schon 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 so, völlig zu Unrecht. Die Bezeichnung soll von der Redewendung „dead as a fried liver“ herrühren, was ich allerdings stark bezweifle.

Alexei Schirow – Sarunas Sulskis
Tromsö 2014, Olympiade Open
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 d5 5.exd5 Sxd5 6.Sxf7 Kxf7 7.Df3+ Ke6 8.Sc3 Sb4 9.a3 Sxc2+ 10.Kd1 Sxa1 11.Sxd5 Kd6 12.d4 Le6 13.Te1 b5 14.Sb4 bxc4 15.Dc6+ Ke7 16.Lg5+ Kf7 17.Lxd8 Txd8 18.Dxc7+ Td7 19.Dxe5 Td6 20.d5 Ld7 21.Df4+ Kg8 22.Dxc4 a5 23.Sd3 a4 24.Sc5 h5 25.Sxd7 Txd7 26.d6+ Kh7 27.Te6 g6 28.Txg6 1-0

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 d5 5.exd5 Sxd5

Dieser Zug wird je nach Autor mit einem Fragezeichen oder zumindest mit ?! versehen. Er gibt Weiss die Gelegenheit, auf f7 einen Springer zu opfern. Es gibt Alternativen: 6.d4 wird von machen als als stärker angegeben.

Nach 6.Sxf7 sind wir in der Fegatello-Variante, zuerst gespielt um 1610 von Giulo Cesare Polerio. Fegato ist italienisch (Betonung auf dem E!) und heisst Leber. Fegatello wird je nach Dictionnaire als gebratene Leber, Schweinsleberschnitzel oder Leberspiess übersetzt. Ich selber kenne es als gebratenes Kalbsleber-Geschnetzeltes, mit Zwiebeln und Rösti, mmh.

Wie die Variante zu ihrem Namen gekommen ist, liegt im Dunkeln. Am plausibelsten scheint mir, dass sie bei einem Nachtessen entstanden ist.

Für den Fall von 6.d4 gibt Stockfish 6…Le6 7.Sxe6 fxe6 8.O-O Sxd4 9.Dh5+ g6 10.Dxe5 Df6 11.Dxf6 Sxf6 als beste Verteidigung an. Gespielt wird aber meist 6…Sxd4 7.c3, laut Stockfish hat Schwarz nach 7…f6 Überlebenschancen. In meinen Blitzpartien pflegen die Gegner mit 7…h6 oder 7…Le7 auf 8.Sxf7 herein zu fallen.

6.Sxf7 Kxf7 7.Df3+ Ke6 8.Sc3 Sb4

Dies ist die einzige Grossmeisterpartie der letzten 1000 Jahre mit dieser Variante. Im Blitz und in Patzerpartien wird sie aber ausgiebig getestet. Bis vor etwa fünf Jahren sah man diese Stellung als völlig verloren für Schwarz an. Ich konnte aber schon vor 10 Jahren auch mit den Programmen, die hier +2 reklamierten, keinen direkten Gewinn finden. Heutzutage sieht Stockfish 11 nur einen Vorteil von ungefähr +0.5 und gibt drei Kandidaten, hier die Varianten:

9.d4 Sxc2+ 10.Kf1 c6 11.De4 Sxd4 12.Lf4 Dd6 13.Te1 Dc5 14.Dd3 Kf7 15.Lxe5 b5 16.Lxd5+ cxd5 17.Lxd4 Dc4=

9.Lb3 c6 10.a3 Sa6 11.d4 Df6 12.De2 Sc7 13.O-O Kf7=

Ein theoretischer Vorteil scheint einzig mit 9.O-O c6 10.d4 Df6 11.De2 zu haben sein, hier erweist sich das paradoxe 11…Ke7 als ausserordentlich zähe.

9.a3?!

Ausgerechnet Schirow hat diese Stellung bekommen. Er geht sie seiner Auffassung entsprechend ganz konkret an und opfert gleich noch einen Turm hinterher.

9…Sxc2+ 10.Kd1 Sxa1 11.Sxd5

Der Springer droht mit Doppelschach abzuziehen. Schwarz muss davon völlig hypnotisiert gewesen sein, aber er konnte und musste es zulassen. 11…c6 12.Sb6+. Wichtig, um dem König nicht das Fluchtfeld d7 zuzugestehen. 12…Kd6 13.Sxa8 Dh4 14.Dd3+ Dd4 15.Dxd4+ exd4 16.d3 Lf5 17.Te1 Kd7 18.Te5 g6 19.Ta5 a6 20.Sb6+ Kc7 21.Sa8+ Kb8 22.Txf5 gxf5 23.Lf4+ Kxa8 24.Le5 b5 25.Le6 Lxa3 26.Lxh8 Lxb2 ist der theoretische Befund, 0.00 laut Stockfish. Schon diese und erst recht die anschliessende Beweisvariante übersteigt jegliches menschliche Begriffsvermögen.

11…Dh4 greift den Läufer an und erzwingt 12.Sb6+ Ke7 13.Sxc8+ Txc8 14.d3, jetzt behielte 14…Kd8 eine Qualität mehr, vorausgesetzt, der Sa1 ist wirklich ‚tote Leber‘. Die Bewertung liegt bei ungefähr -1.

11…Kd6?? 12.d4 Le6 13.Te1 b5

Es war schon nichts mehr zu machen. 14.Txe5 bxc4 15.Sf4 Lg8 16.Td5+ Lxd5 17.Dxd5+ Ke7 18.De6# hätte die Partie gekrönt.

14.Sb4 bxc4 15.Dc6+ Ke7 16.Lg5+ Kf7 17.Lxd8 Txd8 18.Dxc7+ Td7 19.Dxe5 Td6 20.d5 Ld7 21.Df4+ Kg8 22.Dxc4 a5 23.Sd3 a4 24.Sc5 h5 25.Sxd7 Txd7 26.d6+ Kh7 27.Te6 g6 28.Txg6 1-0