Ein Turmendspiel

Ich habe meine Partie gegen Gabiele Botta in „Keine Pläne!“ ausführlich kommentiert, aber unter anderen Gesichtspunkten. Ich erinnere mich, dass ich das Endspiel damals mit Rybka analysiert habe, was noch ziemlich mühselig war. Mit Stockfish fällt alles viel leichter, und es kommen ganz andere Varianten mit ganz anderen Bewertungen heraus. Bei der erneuten Analyse habe ich mich gewundert, wie viele Fehler ich vor nur 5 Jahren gemacht habe. Nun, die Computer konnten es damals nicht besser, und dieses Endspiel ist wirklich sehr schwierig.

Werner Kaufmann – Gabriele Botta
Innerschweizer Meisterschaft 2014
1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.h4 h6 7.Sf3 e6 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 Sd7 11.Ld2 Sgf6 12.O-O-O Le7 13.Kb1 O-O 14.Se4 Sxe4 15.Dxe4 Sf6 16.De2 Dd5 17.Se5 c5 18.c4 De4+ 19.Dxe4 Sxe4 20.Le3 Tfd8 21.dxc5 Lxc5 22.Lxc5 Sxc5 23.f3 f6 24.Sg6 Kf7 25.Sf4 Tac8 26.b3 e5 27.Sd5 Se6 28.The1 Td7 29.Se3 Tcd8 30.Txd7+ Txd7 31.Kc2 Sf4 32.g4 Sd3 33.Te2 Sb4+ 34.Kc3 a5 35.c5 Sc6 36.Sf5 Sd4 37.Sxd4 Txd4 38.Te4 Td1 39.Kc4 Ke6 40.Kb5 Kd5 41.Kxa5 Td2 42.a4 Td3 43.Tb4 Kc6 44.Tb6+ Kc7 45.b4 Txf3 46.Te6 Td3 47.b5 Kd7 48.Tb6 Kc7 49.c6 bxc6 50.Txc6+ Kb7 51.Te6 Td7 52.Kb4 Td4+ 53.Kc5 Txa4 54.Te7+ Kb8 55.Txg7 e4 56.b6 e3 57.Te7 Txg4 58.Txe3 Tg1 59.Te8+ Kb7 60.Te7+ Kb8 61.Th7 Tc1+ 62.Kd5 Tb1 63.b7 Txb7 64.Txb7+ Kxb7 65.Ke6 Kc7 66.Kxf6 Kd7 67.Kg6 Ke7 68.Kxh6 Kf7 69.Kh7 ½–½

Wie immer – für Uneingeweihte – gebe ich anfangs die Partienotation. Anmalen – kopieren – ins Schach-GUI einfügen.

1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.h4 h6 7.Sf3 e6 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 Sd7 11.Ld2 Sgf6 12.O-O-O Le7 13.Kb1 O-O 14.Se4 Sxe4 15.Dxe4 Sf6 16.De2 Dd5 17.Se5 c5 18.c4 De4+ 19.Dxe4 Sxe4 20.Le3 Tfd8 21.dxc5 Lxc5 22.Lxc5 Sxc5 23.f3 f6 24.Sg6 Kf7 25.Sf4 Tac8 26.b3 e5 27.Sd5 Se6 28.The1 Td7 29.Se3 Tcd8 30.Txd7+ Txd7 31.Kc2 Sf4 32.g4 Sd3 33.Te2 Sb4+ 34.Kc3 a5 35.c5

Der Wendepunkt der Partie. Mein Gegner hatte diesen Zug übersehen und geriet in Panik.

Schwarz sollte keinesfalls seinen Springer abtauschen. Er hat zwei Wege, um auszugleichen:

35…g6 36.hxg6+ Kxg6 37.a3 Sc6 38.b4 axb4+ 39.axb4 Kg5 40.Th2 Kf4 41.Sc2 Kxf3 42.Txh6 Kxg4 43.Txf6

35…Tc7 36.Kc4 Sa6 37.Kb5 Txc5+ 38.Kb6 Tc3. Einziger Zug, Gegen 39.Sf5 gerichtet, wonach 39…Txf3 kommt. Weiss zieht 39.Sc4, um nach 39…Txf3 40.Sxa5 nebst 41.Sxb7 zu haben.

Nun sollte 39…a4 40.Sd6+ Kf8 41.Sxb7 axb3 42.Kxa6 Tc2 43.Te3 bxa2 44.Ta3 Tb2 leicht remis halten. Im nächsten Zug kommt g6, wonach alle weissen Bauern vom Brett verschwinden.

39…Sb4 40.Sxa5 Sd5+ 41.Kxb7 Txf3 42.Kc6 müsste auch reichen, ist aber höchst anspruchsvoll.

35…Sc6? 36.Sf5 Sd4 37.Sxd4 Txd4 38.Te4 Td1 39.Kc4 Ke6?

Verliert direkt. 39…Td2 musste kommen.

40.a4 Tc2+ 41.Kb5 Tc3, und jetzt:

42.Kxa5 Txc5+ 43.Kb4 Tc7 44.Tc4 Td7 45.Kc5, hier hält Stockfish 45…g6 46.hxg6+ Kxg6 für die Rettung und begründet dies mit einer langen Folge von einzigen Zügen, ich versehe diese zur Illustration mit einem Ausrufezeichen. 47.b4 f5! 48.b5 Kf6! 49.gxf5 h5! 50.Tb4 Tc7+! 51.Kd6 Tc3! 52.f4 e4! 53.Txe4 h4! 54.Te8 h3! 55.Tb8 b6! 56.Kd5 h2 57.Th8 Tc2 remis. Heutige Programme sind in der Lage, so etwas zu finden. Die Fortschritte der letzten 5 Jahre sind wirklich spektakulär. Schätzungsweise sind innert 5 Jahren rund 300-400 Elo hinzugekommen. Stockfish steht gerade vor der 3500-er Marke.

Auch 42.b4 axb4 43.Txb4 Ke6 44.Kb6 Kd7 sollte Schwarz auf mysteriöse Weise halten können: 45.Kxb7 Txc5 46.Tb3 Tc7+ 47.Kb6 Tc6+ 48.Kb5 Kc7 49.a5 Tc1 50.a6 Ta1 51.Tc3+ Kb8 52.Td3 Kc7.

Das führt uns zum nächsten Gewinnversuch. 40.Kb5 Txa2 41.Ta4 Tb2 42.Ta3. Das dringt nach 42…Tf2 43.Txa5 Txf3 44.b4 e4 45.Ta7 Ke6 46.Kc4 tatsächlich durch. Der König hält den e-Bauern auf.

40.Kb5 Kd5 41.Kxa5??

Alle anderen plausiblen Züge gewannen, z.B. 41.Te2, und Schwarz kann Tc2 nebst Kb6 und Kxb7 nicht verhindern, denn 41…Tc1 42.Td2+ Ke6 43.Td6+ Ke7 44.Tb6 hilft auch nicht.

Am spektakulärsten wäre 41.Tc4 Td2 42.Kb6 Txa2 43.Kxb7 Ta3 44.c6 Txb3+ 45.Ka6! Kxc4 46.c7 a4 47.c8=D+ Kb4 48.Kb6.

41…Td2??

41…Kxc5 hielt remis. 42.Tc4+ Kd6 43.Kb6 Td2 44.a4 Td3 45.Tb4 Txf3 46.Kxb7 Kc5 47.Tb5+ Kd4 48.a5 e4 49.a6 e3 50.a7 e2 51.a8=D e1=D.

42.a4?!

Umständlich. 42.Kb6 Txa2 43.Te1 Tb2 44.Td1+ Ke6 45.Td3 gewann primitiv.

Immerhin reicht jetzt 42…Kxc5 43.b4+ Kc6 44.Tc4+ Kd6 45.Tc8 zum Gewinn.

42…Td3 43.Tb4 Kc6 44.Tb6+ Kc7 45.b4 Txf3 46.Te6 Td3 47.b5 Kd7 48.Tb6 Kc7 49.c6 bxc6 50.Txc6+ Kb7 51.Te6 Td7 52.Kb4 Td4+ 53.Kc5 Txa4 54.Te7+ Kb8 55.Txg7 e4

Man hätte vorher ein paar Mal genauer spielen können, aber wozu? Das reicht allemal, vorausgesetzt man schaukelt das Ding nun nach Hause. 56.Te7 e3 57.Txe3 Txg4 58.Te6 war völlig unproblematisch.

56.b6??

Wirft den sicheren Gewinn weg. Geplant war 57…Ta5+ 58.Kc6 mit Mattdrohung…

56…e3 57.Te7 Txg4?!

…aber hier ging 57…Ta5+ 58.Kc6 Te5, was ein ewiges Schach erzwingt.

58.Txe3 Tg1 59.Te8+ Kb7 60.Te7+ Kb8 61.Th7 Tc1+ 62.Kd5 Tb1 63.b7 Txb7 64.Txb7+

Hier war ich der Ansicht, dass 63.Txh6 Txb6 64.Th7 immer noch gewinnt. Falsch, es ist sogar mit Weiss am Zug noch remis, nämlich wegen 64…f5 65.Ke5 f4 66.Kxf4. Das ist eine theoretische Remisstellung, die berühmte Vancura-Stellung.

Im Prinzip funktioniert die Verteidigung so, dass Schwarz den Turm nicht aus der Ecke heraus lässt, indem er den h-Bauern unter Beschuss hält. Etwa so: 66…Tb5 67.h6 Tb6 68.Kg5 Tb5+ 69.Kg6 Tb6+ 70.Kg7 Tb7+ 71.Kg8 Tb6 72.Th8 Ka7 72.Th7+ Kb8. Das hat schon André Chéron in seinem Lebenswerk „Lehr- und Handbuch der Endspiele“, 1960, in der Stellung Nr. 244 besprochen.

64…Kxb7 65.Ke6 Kc7 66.Kxf6 Kd7 67.Kg6 Ke7 68.Kxh6 Kf7 69.Kh7 ½–½