Schablonendenken

Jeder Schachspieler spielt mehr oder weniger nach seiner Schablone. Stärkere Spieler orientieren sich an den taktischen Möglichkeiten in der Stellung, schwächere nach positionellen Kriterien, sprich Pläne, Figurenaufstellungen etc. In mehr oder weniger ausgeglichenen Stellungen ist es eine Mischung von Beidem, weil positionelle Ideen die taktischen Möglichkeiten erst vorbereiten müssen.

Er – Ich, Blitz 3+0, 5.5.2022

1.d4 e6 2.e4 d5 3.exd5 exd5 4.Ld3 Sc6 5.Sf3 Ld6 6.c3 Sge7 7.O-O Lg4 8.Lg5 f6 9.Lh4 Dd7 10.Sbd2 O-O-O 11.b4 g5 12.Lg3 h5 13.Lxd6 Dxd6 14.a4 h4 15.Dc2 Kb8 16.a5 Sc8 17.b5 S6e7 18.Tfe1 Lxf3 19.Sxf3 g4 20.Sd2 g3 21.fxg3 hxg3 22.h3 Df4 23.Sf3 Txh3 24.gxh3 Dxf3 25.De2 Df4 26.Tf1 Dh6 27.Kg2 Sg6 28.Lxg6 Dxg6 29.a6 Te8 30.Df3 Dc2+ 31.Kxg3 Tg8+ 32.Kf4 Sd6 33.Tf2 Df5+ 34.Ke3 Sc4+ 35.Ke2 Dc2+ 36.Ke1 Tg1+ 37.Tf1 Dd2# 0-1

1.e4 e6 2.d4 d5 3.exd5 exd5 4.Ld3 Sc6 5.Sf3 Ld6

Der Schablonenzug. Ich pflege in der Abtauschvariante eine Stellung mit Sc6, Ld6, Sge7 und Lg4 oder Lf5 und entweder kurzer oder langer Rochade anzustreben.

Eine andere Idee wäre z.B. 5…Sb4 6.Le2 Lf5 7.Sa3 Sc6. Wenn Weiss das nicht haben möchte, kann er nach 5…Sb4 6.Lb5+ c6 7.La4 spielen. Der Sb4 wird seinen Weg über a6 und c7 nach e6 machen.

Das bedrohlich aussehende 5…Lg4 6.c3 Df6 7.Sbd2 O-O-O 8.O-O ist eher heisse Luft. Weiss ist für den Angriff mit b4 usw. ideal aufgestellt und die schwarze Dame steht nur ihrem eigenen Angriff im Weg.

6.c3 Sge7 7.O-O Lg4 8.Lg5

Mein Lg4 ist eigentlich kein guter Zug und sollte theoretisch durch 7…Lf5 ersetzt werden. Aber dann bricht normalerweise Langeweile aus…

Sein Lg5 ist ebenso schwächlich und entspringt dem Wunsch, den ‚guten‘ Angriffsläufer auf d6 mittels Lh4 und Lg3 gegen den ’schlechten‘ Läufer abzutauschen. Er sollte mit 8.Sbd2 Dd7 9.Te1 abwarten, ob ich tatsächlich 9…O-O-O spielen will. Meine Erfahrung zeigt, dass er für den Angriff mit 10.b4 besser aufgestellt ist, gerade weil sein schwarzfeldriger Läufer auf c1 in Sicherheit ist und kein Angriffsobjekt für die schwarzen Bauern abgibt.

8..f6 9.Lh4 Dd7 10.Sbd2 O-O-O 11.b4 g5

Ich überlegte als Alternative nur 11…h5 12.Lg3 Sf5, um nach 13.Lxd6 Sxd6 mit dem Springer auf d6 zurück schlagen zu können. Aber das konnte ich ja nach dem Textzug auch, also was soll’s.

Die Gelegenheit zu 11…Sf5 12.Lg3 Lxg3 13.hxg3 h5, was ihm auf g3 ein Angriffsobjekt verpasst, welches alsbald mit h5-h4 aufgerollt wird, entging mir. 12…Lxg3 ist ja schliesslich kein Schablonenzug. Vielleicht nächstes Mal…

12.Lg3 h5

Hier kam das angesprochene 12…Sf5 13.Lxd6 Sxd6 in Frage. Gut und solide. Aber er brauchte nicht auf d6 zu tauschen, denn er konnte noch mit dem f-Bauern zurück schlagen, wenn ich selber den Läufer abtauschen würde. Normalerweise versuchen die Weiss-Spieler mit a4 und a5 anzugreifen, wonach der Sc6 nicht mehr nach a5 kann.

Dieses Feld a5 kann man aber mit viel weniger Aufwand wegnehmen, nämlich mit 13.Sb3, welcher unter Umständen erst noch nach c5 hüpfen kann, was sich im Falle von 13…Lxg3? 14.Sc5 drastisch zeigt, weil Schwarz nach 14…Lxh2+? 15.Sxh2 Lxd1 16.Sxd7 eine Figur verliert. Dass Weiss nach 14…Lxf3 15.Dxf3 Lxh2+ 16.Kxh2 Dd6+ 17.Kg1 Sh4 18.Dh5 eine Gewinnstellung hat, ist hingegen alles andere als offensichtlich. Wenn schon, müsste also Schwarz mit dem Springer nehmen, 13…Sxg3 14.fxg3, wonach der weisse König sicher steht und sowohl Sc5, als auch b4-b5 in der Luft liegen.

13.Lxd6 Dxd6 14.a4

Natürlich die Schablone. Aber auch diesmal gab es einen einfacheren Zug, um a5 zu überdecken: 14.Da4. Schwarz muss mit 14…b6 das Springerfeld a5 im Auge behalten, aber so hat Weiss ein Angriffsobjekt geschaffen, das er mit 15.Dc2 h4 16.a4 und baldigem a4-a5 ausnützen kann.

14…h4 15.Dc2

Mein 14…h4 war über-optimistisch (besser 14…Tde8, um mit dem Springer nach d8 zu gehen) und es war mir schleierhaft, weshalb er nicht 15.a5 gespielt hat. Wahrscheinlich dachte er, dass danach 15…Sf5 geht, was er überflüssigerweise verhinderte, denn 16.h3 würde einfach eine Figur gewinnen.

15…Kb8 16.a5 Sc8

Bei diesem Zug war mir nicht wohl. Der Computer sagt, dass 16…a6 17.b5 axb5 18.Lxb5 Lc8 durchaus spielbar ist, aber das hier ist eine Blitzpartie und wer stellt schon gern dem Gegner eine Angriffsmarke hin?

Am besten war 16…Tdg8 17.b5 Sd8, doch dieser Springerzug kam in meinen Berechnungen quasi von vorneherein nicht vor. Jetzt weiss ich, dass d8 ein ganz anständiges Springerfeld ist, mein Horizont hat sich sozusagen um dieses Feld erweitert.

17.b5

Weiss kommt mysteriös in Vorteil, indem er mittels 17.h3 Lh5 18.Sh2 erst seinen Königsflügel sichert. Aber das ist so abseits aller Schablone, dass es vielleicht nicht mal ein GM gesehen hätte.

17…S6e7 18.Tfe1

Wenn schon, dann 18.Tfb1. Aber mein König steht in jedem Fall sicher.

Nach 18.b6 cxb6 19.axb6 Sxb6 ist nicht ersichtlich, was er haben will. Das ist immer die Option, die man anstreben sollte, auf b6 zweimal wegfressen. Plan B bestünde darin, b6 mit a6 zu beantworten.

Nach 18.Tfb1 sollte ich 18…Le6 versuchen, und nicht 18…Lxf3 19.Sxf3 g4 20.Se1 g3 21.h3. Analog zur vorherigen Anmerkung, ist auch e1 ein gutes Springerfeld und 21.h3 die erste Option, anstatt 21.fxg3 hxg3 22.h3.

18…Lxf3?

Das ist ein ernsthafter Fehler. Natürlich versucht man, mit Tempo zum Angriff zu kommen, aber diesmal bestand kein Grund zur Eile, denn mein König stand ja sicher. Aber ich hätte halt einen Trick sehen müssen! 18…Df4 19.b6 cxb6 20.axb6 Lxf3. Das ist der Trick. 21.bxa7+ Ka8 22.Sxf3 h3 mit Angriff. 21.Txa7 ginge noch, weil der Se7 hängt: 22.Txa7 Sxb6 23.Ta5 Sec8 24.Dc1 Dg4 25.Lf1, lautet die Computerauskunft.

19.Sxf3 g4 20.Sd2 g3 21.fxg3 hxg3 22.h3 Df4

Ich hatte eingesehen, dass ich komplett verloren war und probierte einfach noch etwas, es droht ja immerhin ein Matt in drei Zügen, und auch 23.Tf1 De3+ 24.Kh1 Txh3+ 25.gxh3 g2+ hatte es in sich.

Am einfachsten war jetzt das schlichte 23.Te2. Sein Zug gibt mir Gelegenheit, im Trüben zu fischen.

23.Sf3 Txh3 24.gxh3 Dxf3 25.De2 Df4 26.Tf1?

Er verspürt den instinktiven Drang, die Dame zu verscheuchen und treibt sie zum nächsten Angriff. 26.Ta2 überdeckt f2, ermöglicht damit nach 26…Th8 27.Dg4 und nimmt mir somit allen Wind aus den Segeln.

26…Dh6 27.Kg2 Sg6?

Sein Königszug war wiederum nicht gut, er hätte den h-Bauern aufgeben sollen, um dann mit der Dame von g2 aus alles zu decken.

Natürlich spielte ich 27…Th8 nicht, weil 28.Th1 vermeintlich alles deckt, aber nach 28…f5 stünde ich so gut wie auf Gewinn.

Er sollte mit 28.De6 Dd2+ 29.De2 Dh6 Remis durch Zugwiederholung machen.

Meinen Fehler schreibe ich der Zeitnot zu, ich hatte noch ca. 30 Sekunden, und er über eine Minute.

28.Lxg6 Dxg6 29.a6?

Wie kann man so einen Zug machen? Einfach 29.Tae1 und Feierabend. Er hatte wohl zu sehr auf die Uhr geschielt und wusste, dass er nur verlieren konnte, wenn er sich mattsetzen liess…

29…Te8 30.Df3??

Auch das ist Schablone. Er fängt an, ’schöne‘ Züge zu machen und vergisst, sie zu prüfen. Zeit genug hätte er gehabt. 30.Dd2 Th8 31.Tae1 Dh7 32.Th1 Sd6 hat noch ein paar Tücken, aber das müsste er auf Zeit gewinnen.

30…Dc2+ 31.Kxg3 Tg8+ 32.Kf4 Sd6 33.Tf2 Df5+ 34.Ke3 Sc4+ 35.Ke2 Dc2+ 36.Ke1

36.Kf1 Dg6 37.Tg2 Se3+ hatte ich gesehen, aber ob es zeitlich gereicht hätte…?

36…Tg1+ 37.Tf1 Dd2# 0-1