Alexander Kotow

Alexander Alexandrowitsch Kotow (* 30. Juli 1913 in Tula; † 8. Januar 1981 in Moskau) war ein russischer Spitzengrossmeister und produktiver Schachautor.

Kotows Bücher sind gut geschrieben, spannend und unterhaltsam. Sein berühmtestes ist „Denke wie ein Grossmeister!“

Er ist der Entdecker des Kotow-Syndroms. Dabei denkt ein Spieler lange angestrengt über mehrere Alternativen für seinen nächsten Zug nach, kommt aber zu keiner klaren Entscheidung. Auf einmal spielt er spontan einen Zug, den er überhaupt nicht berechnet hat, und welcher direkt in die Katastrophe führt.

Er hat auch die Kandidatenzüge und den Analysebaum erfunden, die bevorzugte Denkweise mittelmässiger Spieler. Er führt diese Methode in „Denke wie ein Grossmeister“ anhand der folgenden Partie ein:

Isaak Boleslawski – Salo Flohr
18. Sowjetische Meisterschaft, Moskau, 1950

1.e4 c6 2.Sf3 d5 3.Sc3 Lg4 4.h3 Lxf3 5.Dxf3 e6 6.d4 Sf6 7.Ld3 dxe4 8.Sxe4 Dxd4 9.Le3 Dd8 10.0–0–0 Sbd7 11.Lc4 Da5 12.Ld2 Db6 13.The1 Sxe4 14.Txe4 Sf6 15.Lxe6 fxe6 16.Txe6+  

Boleslawski hatte locker und flockig eine Figur geopfert. Kotow erklärt uns nun, was er überlegt hätte, wenn Flohr nun 16…Kf7 gezogen hätte.

„Es bedarf nur ganz kurzer Zeit, bis der Grossmeister sich überzeugt hat, dass das Qualitätsopfer unumgänglich ist. Auf 17.Tde1 hätte Schwarz gleich mehrere Verteidigungen wie z. B. 17…Db5 oder sogar 17…Td8. Folglich ist der ins Auge springende Zug 17.Txf6 gleichzeitig der einzige Gewinnversuch, wobei Weiss das Remis immer noch sicher hat.“

Die Tatsache, dass Kotow auf 17.Tde1 Td8 vorschlägt, beweist, dass er die Drohung nicht einmal angeschaut hat. Die lautet nämlich 18.Txf6+ gxf6 19.Dh5+ Kg8 20.Dg4+Kf7 21.De6+ Kg6 22.Te3 und gewinnt. Schwarz muss wegen der Mattdrohung auf g3 die Dame geben. Dabei ist es irrelevant, ob der Turm auf a8 oder d8 steht.

Auf 17.Tde1 ist tatsächlich 17…Db5 der einzige Zug. Er verteidigt gegen die Drohungen Lg5, Lc3 und Txf6 nebst Dh5+ sozusagen im Multipack. Auch dann ist der Remispfad eng:

17.Tde1 Db5 18.Te4! Df1+ 19.Le1 h5! 20.g4 Lb4! 21.Db3 22.Sxe4! 22.Txe4+Kg6 23.De6+ Kh7 24.Te5 Ld2+!! 25.Kxd2 Thd8+ 26.Kc1 Td5!=. Angesichts dieser unglaublichen Serie von erzwungenen Zügen gehe ich davon aus, dass niemand diese auch wirklich gefunden hätte.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Weiss im 22. Zug einerseits bemerkt, dass der Läufer zum Gewinn nicht gebraucht wird, und dass 22.Te4 droht, die Dame von der 5. Reihe zu vertreiben, nämlich mit 23.c4! Dc5 224.b4!

Lassen wir Kotow nun nach 16…Kf7 17.Txf6 gxf6 18.Dh5+ weiterfahren: „Wohin kann nun sein König gehen? Oh, er hat nun gleich 4 Kandidatenzüge: er kann nach e6, e7, g7 und g8 ausweichen. Ich fange mit Ke7 und Ke6 an, die mir einfach erscheinen.“ Er demonstriert, dass 18…Ke7 und 18…Ke6 19.Te1 in ein paar Zügen matt ist. Dann wendet er sich 18…Kg7 zu, das ist sogar in 5 Zügen matt. Erst jetzt sieht er sich 18…Kg8 an.

18…Kg8 19.Dg4+

Nach langwierigen Überlegungen entdeckt er, dass 19…Lg7 an 20.Dc4+ Kf8 21.Lb4+ scheitert. Meinetwegen, es ist schliesslich eine Einführung.

19…Kf7. „Jetzt natürlich keine Zugwiederholung, sondern 20.Dc4+, jetzt arbeitet er wieder die Kandidatenliste ab.

21…Ke8 22.Te1+ Le7 23.Lb4 und gewinnt.

21…Kg7 22.Le3 Dc7 23.Dg4+ Kf7 24.Td7+ und gewinnt.

20…Kg6. “ Sollte ich noch über einen Strohhalm stolpern? Es wäre kaum zu glauben, wenn der nackte König dem geballten Angriff nicht zum Opfer fiele. Jetzt gilt es noch einmal richtig nachzulegen.“

21.De4+ Kf7 22.La5, „um unter Zeitgewinn ein Turmschach auf d7 zu drohen. Schwarz vermag seinen Untergang nur noch herauszuzögern.
22…Dc5 23.Td7+Le7 24.Lb4 Dg5+ 25.f4″

22…Lh6+ 23.Kb1 Tad8 24.Dc4+ Kg7 25.Dg4+ nebst 26.Lxb6.

Die Hälfte der Varianten habe ich erst noch weggelassen. Kotow behauptet im Ernst, dass Grossmeister so denken, und verlangt von mir Patzer, dass ich einen zehnzügigen Variantenbaum mit zwanzig Kandidatenzügen korrekt ausrechne.

Da ist mir die Kasparow-Regel doch lieber: Danach überlege ich so: „Mit 17.Txf6+ tausche ich einen Angreifer gegen einen Verteidiger. Danach greife ich mit drei Figuren an, und er verteidigt mit keiner. Das reicht.“

Notfalls hätte ich immer noch ein ewiges Schach…

Meine Methode der härtesten Drohung reicht vollkommen. Hier brauche ich mich nicht einmal um Konter zu sorgen, da keine der schwarzen Figuren mitspielt. In der ganzen langen Analyse kommt ein einziger harmloser Konterversuch, 22…Lh6+ vor.

Kein Mensch denkt wie Kotow, und Kotow selber hätte dies zuletzt getan, weil es schlicht unmöglich ist. Im Gegensatz dazu ist es Zug für Zug einfach, den richtigen zu finden.

16…Le7? 17.Tde1 Sd5 18.Lg5 0–0–0 19.Lxe7 Sxe7 20.Txe7 Thf8 21.Dg4+ Kb8 22.Dxg7 Dxf2 23.b3 Tg8 24.Dxh7 Txg2 25.Txb7+ Ka8 26.Tbe7 Dc5 27.h4 a5 28.Te8 Dd4 29.Kb1 Td2 30.Txd8+ Dxd8 31.De4 Df6 32.h5 1–0

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