Max Euwe

Amateur wird Meister

Max Euwe war der 5. Schachweltmeister, von 1935-1937. Ein Zufalls-Weltmeister, werden manche sagen, und der schwächste aller Weltmeister, abgesehen von Steinitz. Zugegeben, einen Aljechin in seinem damaligen Zustand hätte wohl jeder Spitzen-Grossmeister jener Zeit besiegt. Immerhin war er vor dem Krieg Weltklasse, spielte aber nachher nicht mehr in seiner alten Stärke, besonders an der Weltmeisterschaft 1948, in der er abgeschlagen Letzter wurde.

Euwe war von Beruf vollamtlicher Mathematiklehrer und verfasste nebenbei ein Mammutwerk an Schachliteratur, allen voran die „moderne Schachtheorie“ in 12 Bänden, dann das 1000-seitige „Mittelspiel“ und etwa 600 Seiten über „Das Endspiel“. Dazu Lehrbücher wie „Urteil und Plan“, „Positions- und Kombinationsspiel“, usw.

Am beliebtesten beim Schachvolk sind die Lehrbücher, die er zusammen mit Walter Meiden geschrieben hat: „Amateur gegen Meister“, „Amateur wird Meister“ und „Meister gegen Meister“, erschienen in den 1960-er Jahren. Ich habe mehrere der Modell-Partien aus „Amateur wird Meister“ untersucht, und kann das Buch nur empfehlen. Es erklärt ganz ausgezeichnet die Erwägungen, Pläne und Ideen, vor allem in der Eröffnung. Strategische Amateur-Fehler werden meisterlichen Plänen gegenübergestellt. Einen Haken hat das Buch: Euwe hatte keinen Computer. So stellt sich dann eben öfters heraus, dass „Patzer-Züge“ genial waren und „Meister-Züge“ völlig verfehlt.

Meister-Amateur, Partie Nr. 7

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.De2

Das ist der Worrall-Angriff, dessen Ideen Euwe fachmännisch erklärt.

6…b5 7.Lb3 0-0 8.c3 

Es folgt eine theoretische Betrachtung, weshalb Weiss das Gambit 8…d5 normalerweise mit 9.d3 ablehnt. Die Hauptvariante lautet: 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sf4 11.De4 Sxe5 12.d4 Lb7 13.Dxb7 Se2+ 14.Kh1 Sxc1 15.Txc1 Sd3 16.Tf1 c5. Eine perfekte Analyse.

8…d6 9.d4 Lg4 10.d5 Sa5 11.Lc2 c5

Euwe merkt an, dass Weiss das Zentrum abgeschlossen hat, um den Königsangriff mit h3, g4 und Sb1-d3-f1-g3-f5 vorzubereiten. Anstelle von 11…c5 hält er 11…c6 für besser, obwohl „Schwarz einen rückständigen d-Bauern behält“. Methodisch gesehen halte ich 11…c6 für völlig selbstverständlich, und 11…c5 für einen groben strategischen Fehler, weil er sich sein einziges Gegenspiel im Zentrum selber verbaut.

12.h3 Lh5 13.Sbd2 Te8 14.Td1 Lf8 15.Sf1 c4 

„Er macht c5 für seinen Springer frei“. Na schön, aber was ist, wenn Weiss ihm dieses Feld einfach mit 16.b4 wegnimmt? Z.B. 16…Sb7 17.a4. Bliebe noch 16…cxb3 17.axb3 Dc7 18.Ta2, wonach der Sa5 bereits in Nöten ist. Nach 18…Sb7 19.Ld2 Sc5 20.Tda1 steht Weiss auf Gewinn.

16.g4 Lg6 17.Sg3 Sb7 18.Kh1 

Auch hier war 18.b4 stark. 18…a5 19.a4 wird früher oder später den c-Bauern gewinnen.

18…Sc5 19.Lg5 Le7 

„Schwarz nimmt seinen 14. Zug zurück, droht aber immerhin Sxd5, wie wir sehen werden“. Methodisch ist es höchst selten gut, gegen eine Le7/Sf6-Batterie Lg5 zu spielen, so auch hier. Weiss hätte den Fehler zugeben, und den Läufer nach c1 zurück ziehen, oder mit 20.Lxf6 Lxf6 21.b4 Sd7 22.a4  wenigstens noch etwas Druck auf der a-Linie machen sollen. Er „opfert“ einen Bauern.

20.Sf5??

Das würde am primitiven 20….Sxg4+ scheitern. Euwe konnte eine solche Masse an Literatur nur produziert haben, indem er nicht genau hingeschaut hat. Das ist überhaupt das Problem an sogenannten „strategischen“ Gewinnpartien, dass ein taktischer Konter alles auf den Kopf stellt und sämtliche Kommentare entwertet.

20…Lxf5? 21.gxf5 Sxd5 22.Lxe7 Sxe7 23.Tg1 

Euwe gibt auf 23.Sxe5 Sxf5 an, aber übersieht 24.Sxf7, was nach 24…De7 aber auch zu schwarzem Vorteil führt.

23…f6 24.Sh4 

Die beste Verteidigung wäre 24…Tf8 nebst 25…Tf7 gewesen.

24…Ta7 25.Dh5 

Euwe gibt 25…Sc8 als korrekt an. Das ist korrekt. Trotzdem: der weisse Angriff ist einen Bauern wert.

25…d5? 26.Txg7+ Kxg7 27.Tg1+ Kh8 28.Dh6 Sxf5

Das Einzige. 29.Sxf5 äre nicht gut genug, wie Euwe treffend analysiert.

29.Sg6+ Kg8 30.Se7+ Kf7 31.Dxh7+ Ke6

Weiss hätte nun 32.exd5+ Dxd5 33.Lxf5+ Kd6  34.Sc8+ Txc8 35.Dxa7 spielen sollen, was nach 35…Df3 36.Db6+ Kd5 37.Td1+ Dxd1 38.Lxc8 Dc1 nicht gerade vollautomatisch gewinnt.

32.Dxf5+ Kd6

Euwe hält 32…Ke7 33.Tg7+ Kd6 34.Txa7 für stärker, weil er den nächsten Zug von Schwarz falsch berechnet. Jetzt hätte 33.Sxd5 den Angriff bei überlegener Stellung behalten.

33.Dxf6+ 

33…Se6. Er demonstriert, weshalb nach 34.Sxf5+ 34…Kc7 und 34…Kc6 verlieren, und übersieht dabei 34…Kc5, wonach wegen der Gegenfesselung 35.Dxe5 Dc7 der Gewinn weg ist.

33…Kc7? 34.Tg7 

„Einkreisung.“

34…Sd7 35.Sxd5+ Kb7 36.Dd6 Ka8 37.Txd7 Txd7 38.Sb6+ Kb7 39.Sxd7 1-0

Euwe vermittelt in diesen Partie-Kommentaren den Eindruck, dass der „Meister“ alles im Griff gehabt hat, „weil er besondere Einblicke und Fähigkeiten hat“. In dieser Partie ist von einem Klassenunterschied nichts zu erkennen. Auch in anderen lässt er meines Erachtens zu viel Wasser auf die Mühle des Meisters fliessen.

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