Mittelgambit

1.e4 e5 2.d4 exd4 3.Dxd4

Seltsam, dass das Mittelgambit heisst, es ist überhaupt kein Gambit. Ein eigentliches Gambit wäre 3.c3, aber das heisst dann Nordisches Gambit auf Deutsch und Dänisches Gambit auf Englisch.

Es gibt anstelle von 3.Dxd4 drei vermutlich stärkere Züge, nämlich 3.c3, 3.Sf3 und 3.Lc4.

4.De3 Sf6

Das scheint sozusagen selbstverständlich zu sein. Dennoch ist vermutlich die Neuerung (!) 4…Lb4+ genauer. Nach 5.Sc3 Sc6 sind wir in der Hauptvariante.  5.c3 La5 und der Läufer ist auf dem Sprung, die Dame ein weiteres Mal zu belästigen.

Der Grund dafür ist, dass der Computer die Hauptvariante für schwach hält und hier mit 5.Ld3 ausgleichen will. 5…Lb4+ 6.Ld2 0-0 7.a3 Lxd2 8.Sxd2 Te8 9.0-0-0 d5 10.Sgf3. Die weisse Dame steht im Mittelgambit in der e-Linie ungünstig. So auch hier.

Die scharfe Variante

5.e5 Sg4 6.De4

Die Einladung zu zum Opfer 6…Scxe5 oder 6…Sgxe5 7.f4

Betrachten wir zunächst die Hauptvariante dieser Nebenvariante:

6…d5 7.exd6+ Le6

Nach 8.Le2 Sf6 9.dxc7 Dxc7 10.Dh4 0-0-0 11.Sf3 hat Schwarz einen riesigen Entwicklungsvorsprung für den Bauern, aber sein König steht nicht besonders gut, und Weiss hat noch keine Schwächen.

8.La6

Jaques Mieses war der eifrigste Verfechter des Mittelgambits, und er hat das da am 18. DSB-Kongress 1912 gegen Amos Burn erfunden. Schwarz hat mehrere Züge zur Wahl.

8…Dc8 9.Dxc6+ bxc6 10.Lxc8 Txc8 11.h3 Se5 12.dxc7. Weiss steht besser.

8…Db8 9.Lc4 Sf6 und das fiese Zwischenschach 10.d7+ erzwingt 10…Kxd7, worauf Weiss jedenfalls nicht schlechter steht.

8…Sf6 9.Da4 Lc8 10.dxc7 Dxc7 11.Lb5. Schwarz hat nach 11…Ld7 gute Kompensation, mehr aber nicht.

8…Dxd6 ist der meist gespielte Zug. 9.Lxb7 Db4+10.Dxb4 Sxb4 11.Lxa8 Sxc2+12.Ke2 Sxa1 13.Lc6+ Kd8 14.b3! Sc2 15.Sf3 mit Ausgleich. Allerdings muss Weiss in dieser Zugfolge wegen dem Entwicklungsrückstand sehr genau spielen.

Nun zur Opfervariante.

( 1.e4 e5 2.d4 exd4 3.Dxd4 Sc6 4.De3 Sf6 5.e5 Sg4 6.De4 )

Es ist fraglich, welches Opfer besser ist. Probieren wir

6…Sgxe5 7.f4 d5 

Gut möglich, dass 8.De3 der korrekte Zug ist. 8…d4 9.De2 Lg4 10.Sf3 Lb4+ 11.Kd1. Schwarz kann auf komplizierte Weise in Vorteil kommen: 11…d3 12.cxd3 Dxd3+ 13.Dxd3 Sxd3 14.Lxd3 0-0-0 15.Kc2 La5 16.a3 Lxf3. Nun geht 17.gxf3 wegen 17…Sd4+ nebst 18…Sb3 nicht. Bleibt 17.b4 Txd3 18.gxf3 Txf3 19.bxa5 Sxa5(-0.6) Hier ist es offensichtlich, dass genug Kompensation für die Figur da ist.

8.De2 Lg4 9.Sf3. Es gibt zwei Angriffsfortsetzungen, 9…Lb4+ und 9…Lc5

9…Lb4+

Nach 10.c3 0-0 11.fxe5 Sxe5 scheitert 12.cxb4 an 12…Te8, Schwarz gewinnt zunächst eine Figur zurück und der Angriff geht weiter. Daher 12.h3. Der Computer will mit 12…Sxf3+ 13.gxf3 Lh5 den Angriff fortsetzen, denn 12..Te8 13.hxg4 Sd3+ 14.Kd2 Txe2+ 15.Kxd3 und Weiss hat vier (!) Figuren für die Dame. 14.Df2 Te8+ 15.Kd1 Lc5 16.Dxc5 Lxf3+ 17.Kc2 Lxh1. Schwarz steht überall besser, aber einfach ist es nicht.

10.Kd1 0-0 11.fxe5 Te8 12.Lf4 Sxe5 13.Lxe5 Ld6 ist einfach und übersichtlich. Schwarz gewinnt eine Figur zurück und hat objektiv die besseren Aussichten (-0.40), aber auch subjektiv?

9…Lc5

10.h3, denn 10.fxe5 Sd4 und die Dame hat kein einziges gutes Feld. 10…Lxf3 11.gxf3 Dh4+ 12.Kd1 0-0 13.fxe5 Sxe5 (-0.5) Schwarz hat zwei Bauern für die Figur, ist besser entwickelt und den gegnerischen König in der Mitte. Für Weiss spricht, dass er keine Angriffspunkte in der Stellung hat.

( 1.e4 e5 2.d4 exd4 3.Dxd4 Sc6 4.De3 Sf6 5.e5 Sg4 6.De4 )

6…Scxe5

Das andere Opfer.

7.f4 Lc5 8.fxe5 Sxf2, der Springer bedient sich auf h1 und droht über f2 wieder heraus zu kommen. Weiss kann das nicht einfach verhindern, eine Mustervariante: 9.Dc4 d6 10.Sf3 Sxh1 11.Lg5 Dd7 12.Lh4 0-0 13.Sc3 Te8. Wenn er rochiert, kommt der Springer zurück, auf 14.Ld3 Dg4 hängt g2 und der Springer ist noch längst nicht gefangen. 15.Kf1. Endlich, aber in der Zwischenzeit holt sich Schwarz genügend Holz zurück. 15…Dxc4 16.Lxc4 dxe5. Er hat nun zwei Bauern auf der Habenseite und Weiss braucht immer noch viel Zeit, um den Springer zu nehmen (-1). Trotzdem, Varianten, in denen eine Partei mit dem Springer in der Ecke einen Turm frisst, sind mit dem Computer schwierig zu analysieren, wenn der Springer nicht schon in den nächsten Zügen verloren geht. Die Bewertung ist dann normalerweise falsch, so auch hier, nach 8…Sf2 ist die Bewertung (-2) und nimmt dann Zug für Zug ab, bis auf (-1).

7.f3. Schwarz hat 7…Dh4+ 8.g3 De7, was den Bauern einfach behält. Gerade geht 9.fxg4 wegen dem Damenverlust 9…Sf3+ nicht. 9.Sc3 deckt die Dame, dann kommt 9…d5 10.De2 c6 . 11.fxg4 Lxg4, die Dame hat kein Feld mehr. Wenn sie dem Doppelschach ausweicht, ist 12.Dg2 Sf3+ im nächsten Zug matt, und nach 12.De3 d4 13.De4 f5 sind die Fluchtfelder erschöpft. Noch stärker ist allerdings 7…d5 8.Dd4 De7.

7.h3 ist der einzige Zug. 7…d5 8.De2 Lb4+ und jetzt:

9.c3 0-0 10.hxg4 Te8 11.Le3 d4 12..cxb4 (12.Dc2 g6 ist schwächer) 12…dxe3 13.fxe3 Sxg4 14.e4 Dd6 mit der Drohung Dg3+ 15.Df3. Die Maschine sieht hier einen klaren Vorteil für Schwarz, kann das in vielen Varianten aber nicht beweisen. Am saubersten scheint mir 15…Lf5, um auf 16.Te2 einfach 16…Txe4 zu ziehen. 16.Dxf5 Dg3+ 17.Ke2 De3+ 18.Kd1 Sf2+ 19.Kc2 Sxh1 (-1) 20.Lc4 Dxg1 21.Lxf7+ Kh8 22.Lxe8 Txe8

9.Ld2 0-0 10.Lxb4 Te8 11.hxg4 Sxg4. Weiss hat drei Figuren für Dame und zwei Bauern (-1.2). Programme überschätzen die Dame gegenüber drei Figuren. Hier scheint mir der schwarze Vorteil etwa (-0.5) wert zu sein.

Die entscheidende Frage ist doch: Kann man die scharfe Variante mit Weiss spielen? Nun, das hängt von der Spielstärke ab. Bei etwa gleich starken Gegnern würde ich die Variante bis etwa 2100 Elo sogar empfehlen. Weiss hat praktisch immer Materialvorteil, was in dieser Kategorie normalerweise günstig ist. Ab 2000 bis etwa 2300 Elo wird aller Voraussicht nach die Hauptvariante 6…d5 gespielt, welche ungefähr ausgeglichen ist, und sich eine gute Vorbereitung auszahlen kann. Bei Gegnern über 2300 Elo würde ich das nicht probieren. Die haben möglicherweise zu Hause herausgefunden, dass Fortsetzungen wie 6…h5 und 6…Dh4, welche ich hier nicht behandelt habe, dem Weissen unangenehme Probleme in schlechterer Stellung aufhalsen und für sie selber kaum Aufwand in der Vorbereitung benötigen. Das Opfer 6…Sgxe5 habe ich schon im Blitz vorgesetzt bekommen, es gibt somit Leute, die sich damit beschäftigt haben..

Ich selber neige zur Neuerung 6…Dh4, die sehr bequem zu spielen ist und kein grosses Gedächtnis benötigt. Ich brauche nur zu wissen, dass 7.Le3 das Einzige ist, und ich dann nach 7…Dh5 den e-Bauern gefahrlos nehmen kann, sofern er ihn nicht mit 8.f4 deckt. Für diesen Fall habe ich den Trick 8…d5 9.exd6+ Le6 10.d7+ Kxd7 11.Sc3 Te8 12.0-0-0+ Kc8 vorbereitet, mit einem soliden Vorteil.

Gegen einen solchen Gegner würde ich mit Weiss das kuriose 6.De2 vorbereiten, wenn überhaupt. 6…Sd4 7.De4 Lc5 8.Dxg4 Sxc2+ 9.Kd1 Sxa1 10.Dxg7 Tf8 ist ziemlich sicher gut für Weiss, obwohl der Computer 0.00 sagt. 6…d5 vergisst, den e-Bauern anzugreifen, 7.h3 und nun ist das Opfer 7…Sgxe5 bei weitem nicht so gefährlich wie in den Varianten, die ich gezeigt habe, Bescheid müsste ich aber schon wissen. Also wäre dort (6…d5 7.h3) 7…Sh6 8.Lxh6 gxh6 zu erwarten, mit Ausgleich. Der kritische Zug ist 6…d6. Dann 7.f3, was ihm wieder die Wahl lässt, entweder 7…Sh6, oder opfern. Wahrscheinlich würde er sich gegen das Opfer entscheiden, weil er meine Vorbereitung fürchtet. Hier finge die eigentliche Vorbereitung an. Wie überlebt man 8.exd6 Le6?

Die Hauptvariante

5.Sc3  6.Ld2 0-0 7.0-0-0 Te8

Ich habe mich immer gewundert, wieso die Computer in dieser Stellung Schwarz so sehr im Vorteil sehen.

8.Dg3

Das ist die historische Hauptvariante und der meist gespielte Zug.

8…Txe4 

Ein Bauer ist ein Bauer, denkt sich Schwarz.

9.Lg5 Lxc3 10.Dxc3 d6. Natürlich kann jetzt Weiss mit 11.Lxf6 Dxf6  12.Dxf6 ein schlechtes Endspiel haben, aber wer opfert schon einen Bauern für sowas. 11.Ld3 Te8 12.Sf3 Le6. Das sieht ganz ordentlich aus, bis auf den Minusbauern. Weiss kommt am Königsflügel nicht recht vorwärts, Schwarz am Damenflügel ebenso wenig. Der Computer will brutal entfesseln und ich glaube, er hat recht.

13.Te1 h6 14.Lh4 g5 15.Lg3 Sd5 16.Dd2 Df6. Die Pointe davon ist, dass 14.Sxg5 hxg5 15.Lxg5 wegen 15…Se4 nicht geht.

13.Dd2 hilft gegen das Entfesseln. 13…h6 14.Lh4 und g7-g5 ist verhindert, auch 14…Lxa2 15.b3 a5 16.Kb2 ist zweifelhaft. 14…Ld5 ist ein guter Zug. Weiss hat ordentliche Kompensation, mehr gibt es beim besten Willen nicht zu sagen.

9.a3 ist das meist gespielte. 9…La5 10.Lg5 Lxc3 11.Dxc3 d6. Hier gilt das vorhin Gesagte.

8…d6 

Das ist zweifelhaft wegen 9.f3. Der Be4 ist gedeckt, die Dame auf der richtigen Seite des Bf3 und die Abwesenheit des Verteidigungsläufers Lb4 wird sich bemerkbar machen.

8…Sxe4

Das ist der ernsthafte Widerlegungsversuch. 9.Sxe4 Txe4 

10.Lxb4 Txb4 und es ist nicht zu sehen, was Weiss haben will.

10.c3. Im nächsten Zug kommt Ld3, dagegen sollte man etwas unternehmen. Schaut man sich die Statistik an, hat Weiss auf alle Rückzüge respektable Resultate, ausser auf einen: 10…Le7 11.Ld3 Lh4. Das ist des Pudels Kern. 12.Df3 Ta4. Der Ba2 hängt, Se5 ist eine Option und d7-d5 wird Lg4 drohen.

13.Kb1 Se5 14.Lxh7+ Kxh7 15.Dh5+ Kg8 16.Dxe5 d6 17.De2 Lf5+ 18.Ka1 c5. Das schaltet die Dame in den Angriff ein. Schwarz gewinnt.

13.a3 Se5 14.Lxh7+ Kxh7 15.Dh5+ Kg8 16.Dxe5 d6 17.De2 (-0.6)

13.De3 Txa2 14.Kb1 Ta5 15.Sf3 (-0.5)

Dass der Ta4 nicht so abseits steht, zeigt die Variante 11.Sf3 Ta4 12.Kb1 d6 13.Ld3 Tg4 (-1)

10.Lf4 Df6 11.Lxc7 klemmt sich selber den Läufer ein, 11…d6 12.a3 Lc5 und nichts geht mehr. 11.Sh3 d6 12.Ld3 Te8 13.c3  Lxh3 14.gxh3 Lc5 (-0.8)

8.Lc4 

Da die historische Hauptvariante zweifelhaft ist, versuchen wir etwas anderes.

8…d6

9.f3. Jetzt ist die Dame auf der falschen Seite des Bf3. 9…Se5 10.Lb3 a5. Der schwarze Angriff kommt zuerst. 11.a3 Lc5 12.Dg5 c6 13.Dg3 b5 und Schwarz gewinnt im Angriff.

9.Dg3 Se5 und der Läufer muss nach d3, denn sonst hängt e4. 10.Ld3 Le6 11.Kb1 Sxd3 12.cxd3 d5 (-0.7)

9.Sf3 Le6 10.Ld3 Lc5 11.De2 a6 (-0.5)

Fazit: Es gibt besseres als die Hauptvariante im Mittelgambit.

 

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